Unter der Haut (German Edition)
ersten Mal in seinem Leben, wie ich vermute. Einer Ehe war er bis zu diesem Zeitpunkt – er war vierzig – erfolgreich entkommen, aber jetzt hatte er ein Mädchen geschwängert und musste sie heiraten. Er fühlte sich zu mir hingezogen. Er liebte mich nicht: Solche Männer sind gegen Leidenschaft gefeit. Gefühl – das ist ihr Lebenselixier. Er war kaltblütig genug, mich auf einen Ausflug mit dem Auto mitzunehmen, bei dem seine zukünftige Frau, schwanger wie ich auch, lächelnd auf dem Vordersitz saß. Sie war charmant, unterhaltsam, ein Mädchen vom Lande, eine Afrikaanderin, die perfekte Frau für ihn. War mir damals klar, dass sie eine von seinen Frauen war? Nein. Nicht viel später, wahrscheinlich schon ein Jahr darauf (Reife ist alles), hätte es mich nur die Zeit gekostet, die ich brauchte, um es mir auf dem Rücksitz bequem zu machen, und ich hätte gewusst, dass die beiden ein Liebespaar waren und sie ein Kind bekam. (Was ist nur in dich gefahren! Wie kannst du so gefühllos sein! Du bist ein Scheusal!) Aber andererseits hätte ich mich dann auch nicht auf eine Affäre mit ihm eingelassen.
Das Atelier war eigentlich nicht zum Wohnen gedacht: vielleicht sollte es auch nur dazu dienen, noch ein weiteres Mädchen verbergen zu können, ich weiß es nicht. Als er von seiner Reise mit wer weiß wem zurückkam, wohnten wir jedenfalls in einem kleinen weißen Häuschen mit Bäumen im Garten, das ihm ein Freund zur Verfügung gestellt hatte. Wir wohnten nur ein paar Tage dort, nicht länger. (Ich führe das an, weil es heute immer wieder heißt, ich hätte ein ganzes Jahr in diesem Haus gewohnt.) Unser Liebesspiel war – wie gewohnt – etwas robust, aber wir liebten uns häufig und jeweils lange. Wir hatten viel Spaß miteinander. Er war entsetzt über meine Vorstellungen vom Essen und machte mich mit verschiedenen Gerichten vertraut, die genauso herzhaft waren wie sein Liebesspiel. Es gab Eintöpfe mit Schweinefleisch oder Lamm, gewürzte Pasteten und Fleischtorten aus der Afrikaander-Küche, die stark malaiisch beeinflusst ist. Ich nahm zu. Und er fand das toll. Überhaupt fand er es toll, dass ich schwanger war. Er saß oft mit der Hand auf meinem schwellenden Bauch da, als würde er dem Kleinen zuhören. Dann eilte er an die Staffelei und machte Skizzen. Er identifizierte sich mit Renoir. Wahrscheinlich war auch Renoir, genau wie er, meistens berauscht gewesen von der Üppigkeit der Natur. In dieser Periode seines Lebens müssen Dutzende Skizzen von schwangeren Frauen entstanden sein, von seiner Frau, von mir. Mir gefällt die Vorstellung, dass mein damals renoirhafter Körper irgendwo an einer Wand hängt. Nicht mein Gesicht. In Renés Skizzen waren die Gesichter meist nur eine eben angedeutete Wange, oder sie verschwanden hinter einem gezeichneten Vorhang aus Haaren. Obwohl ich mit Sicherheit lächelte, während er arbeitete, weil mir seine Freude gefiel, schloss mein Lächeln Dinge mit ein, die ihm ganz gewiss nicht gefallen konnten. Wie sehr hasste er doch die Vorstellung, dass eine Frau auch eine distanzierte Beobachterin sein konnte. Wenn wir nicht aßen oder uns liebten, machte er sich mit dem Auto auf den Weg zu dem, was er »meine Pflicht als Revolutionär« nannte. Ich begleitete ihn. Die großen Mietskasernen, in denen die Farbigen wohnten, lagen in seinem besonderen Verantwortungsbereich, denn er sprach Afrikaans, genau wie die Leute dort, die ihn im Übrigen heiß und innig liebten. Er stellte eine Seifenkiste auf – eine bewusste Ironie –, kletterte mit einem Megafon in der Hand darauf und begann zu reden. Seine Erscheinung zog unweigerlich die Aufmerksamkeit aller auf sich – damals. Er war groß und schlaksig, hatte lange blonde Locken und trug weite bunte Kleidung. Ich bewunderte seine Kleidung – in Südrhodesien hätte man zu jener Zeit nichts Derartiges tragen können. Genau wie in Südafrika, wo nur die wenigsten in solcher Aufmachung herumliefen. Schlagartig erschienen Farbige an den Fenstern und auf den Balkonen. Sie lachten und schrien fröhlich durcheinander. Ich musste ebenfalls lachen, obwohl ich kein Wort Afrikaans verstand. Er war wie Till Eulenspiegel oder der Baron Münchhausen, ein Zauberer aus einer Welt, in der es natürlich ist, zu lachen oder die Regierung und die Obrigkeit zu beleidigen, aus einer Welt, in der Armut nur ein einziger Witz ist. Die Kommunistische Partei, die Genossen, vertrauten darauf, dass er ihnen Stimmen einbrachte.
Danach fuhr er mich
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