Unter der Haut (German Edition)
hatten. Das Grundrezept dieser kommunistischen Zeitung war das gleiche wie das des
Daily Worker
in London. Die Abonnenten sollten das Gefühl bekommen, dass es »ihre« Zeitung war und dass sie die Zeitung finanzierten. Jede Ausgabe enthielt einen Bericht, in dem die Gesamtsumme des in der Vorwoche gespendeten Geldes angegeben war, und dazu Ermahnungen, im Interesse der Arbeiterklasse noch mehr zu spenden. Der
Guardian
wurde genauso wie der
Daily Worker
immer wieder beschuldigt, »Rotes Gold« anzunehmen – das heißt, Geld aus Moskau zu erhalten. Alle, die ich in der Partei je kennengelernt habe, lachten herzlich bei dem Gedanken an Rotes Gold, genauso wie sie über das Schlagwort von den »Roten unter den Betten« lachten. Doch es gab tatsächlich jede Menge Rote, die als Spitzel tätig waren, und es gab auch Geld aus Moskau – erst letzte Woche habe ich (wieder einmal) gelesen, dass der
Daily Worker
durch Moskau finanziert wurde. Ob der
Guardian
Rotes Gold aus Moskau annahm, kann ich nicht sagen. Wenn ich mir die beiden eindrucksvollen Frauen vor Augen führe, die ihn leiteten, halte ich es für unwahrscheinlich. Der
Guardian
hatte sich während des Krieges aufgrund der Popularität der Sowjetunion prächtig entwickelt, doch nun sanken die Verkaufszahlen rapide. So wurden zum Beispiel in Salisbury keine einhundertzwölf Dutzend Exemplare mehr verkauft, sondern nur noch zwei bis drei Dutzend – an die Getreuen.
Ich wurde in der Abonnementabteilung eingesetzt, einem mit Schreibtischen vollgestellten Raum, in dem lauter Leute saßen – darunter einige Volontäre –, die Briefe an säumige Abonnenten schrieben: »Wir haben bemerkt, dass Sie Ihr Abonnement diesen Monat nicht erneuert haben. Wir nehmen an, dass es sich dabei nur um ein Versehen handelt. Denken Sie daran, die Zukunft Südafrikas hängt von Menschen wie Ihnen ab. Mit solidarischen Grüßen.«
In diesem Raum arbeiteten Inder und Farbige gemeinsam mit Weißen – in Südrhodesien ein Ding der Unmöglichkeit. Es war eine untergeordnete und eher unwichtige Abteilung der Zeitung. Weit über uns standen die hohen Tiere, die Stars, obwohl Carina Baldry, eine der beiden Gründerinnen, tagtäglich vorbeikam, um mir Mahnbriefe zu diktieren. Ich war überrascht, dass unter den Mitarbeitern dieser sozialistischen Zeitung, die als so überaus subversiv galt und allein durch ihre bloße Existenz in totalem Gegensatz stand zu allem, was es hierzulande sonst noch gab, eine so strenge Hierarchie herrschte und alle auf den Erhalt ihrer Privilegien achteten. Kurz gesagt: »Nach der Revolution« – eine Redewendung, die wir immer mit einem höhnischen Grinsen benutzten –, das heißt, wenn die Revolution überhaupt je gekommen wäre, dann hätte hier ein zentrales Zahnrad einer kommunistischen Maschinerie bereitgestanden, um sich jederzeit ordnungsgemäß in ein Machtgefüge einzugliedern.
Die Zeitung hatte Verbindungen zu den armen Bevölkerungsschichten – nicht zu den Schwarzen, von denen es damals in der Gegend um Kapstadt nicht sehr viele gab, sondern zu den Farbigen und den Indern. Mehrmals wurde ich mit dem Auto in irgendeinen armseligen Vorort von Kapstadt mitgenommen oder zu einer Fabrik, in der bitterarme farbige oder indische Mädchen billige Produkte herstellten. Dort herrschte der vertraute Geruch von Armut, Entbehrung und Verzweiflung. Die ärmlich gekleideten Frauen mit ihren glitzernden kleinen Schmuckstücken drängten sich um uns und streckten uns das Kleingeld für ein Exemplar des
Guardian
entgegen, der mit Enthusiasmus die Freiheit beschwor, doch wirklich interessiert waren sie nur an Informationen: über Wohnungen, Beihilfen, Unterstützungen. Stimmte es wirklich, dass in Woodstock eine Schuhfabrik aufmachen würde? Gab es für sie Arbeit als Hausmädchen oder als Kindermädchen? Es war nicht anders als in Salisbury, wo wir, wenn wir den
Guardian
verkauften, auch immer damit rechneten, dass wir drei- bis viermal mehr Zeit auf »Sozialarbeit« verwenden mussten als auf den Verkauf der Zeitung, und wo uns auch schon vor langer Zeit klar geworden war, dass die Zeitung für ihre Käufer eine Art Talisman für ein besseres Leben war. Die Männer und Frauen, die mit dem
Guardian
unterwegs waren, boten Unterstützung an. Ja, wir rufen den Doktor an, ja, wir rufen das Wohnungsamt an, ja, es gibt eine Tuberkuloseklinik, nein, es liegt nicht in unserer Macht, dafür zu sorgen, dass höhere Löhne gezahlt werden.
Zwischen dem erbärmlichen
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