Unter der Haut (German Edition)
vielleicht zu Besuchen bei Freunden, zum Beispiel bei Jack Cope, dem Schriftsteller, und seiner Frau Lesley. Jack war groß, dunkelhaarig und gut aussehend. Lesley war schlank und blond und wunderschön. Beide waren damals Parteimitglieder. Sie marschierten mit Seifenkisten zum Market Square und hielten dort revolutionäre Reden. Sie waren ein durchschlagender Erfolg, dieses schöne Paar, besonders Lesley, die wie eine Prinzessin aussah. Die Genossen amüsierten sich königlich über das denkbar untypische Bild, das dieses so überaus britische Mittelschichtspaar auf seiner Seifenkiste bot. Die Copes selbst empfanden das gleiche Vergnügen. Und alle anderen auch.
Die beiden lebten in einer kleinen Wohnung in Seapoint, mit Blick auf das Meer, nicht unweit der Stelle, an der ich sechs Jahre zuvor mit John in dem schäbigen Hotel mit den bunten Lichterketten gewohnt hatte. Ohne mich dagegen wehren zu können, verfiel ich in tiefe wohlige Melancholie. Und ich wusste, was das zu bedeuten hatte: Meine Grundfesten waren erschüttert.
Wenn wir wegfuhren, sagte René dann: »He, was ist denn in dich gefahren? Ich hab’s nicht gern, wenn eines von meinen Mädchen ein langes Gesicht macht. Was bedrückt dich? Denkst du daran, dass wir uns trennen müssen? Warte, bis wir erst einmal zu Hause sind und im Bett liegen, dann werde ich dich schon wieder glücklich machen.«
René liebte die Frauen, aber schon beim ersten Anzeichen von Klugheit wurde er unruhig. Aber wenn Tigger Witze riss, gefiel ihm das. Es war, sagen wir einmal, zumindest interessant, von Gottfried zu René zu wechseln: Während mein Mann nie auf die Idee gekommen wäre, dass Frauen dumm sein sollten, sagte René gerne: »Ach, verdammt noch mal, warum hat Gott den Frauen überhaupt ein Hirn gegeben? Das verdirbt alles, glaub mir.«
Ich war nicht die einzige Frau mit Grips, mit der er geschlagen war. Die Frau, die Gottfried später heiraten sollte, gehörte auch zu der Sorte. Renés Affäre mit ihr war entweder gerade beendet oder noch im Gange. Ilse war ein Flüchtling aus Deutschland, eine Kommunistin, die aber bei der Linken insgesamt als eine energische und kluge und als eine sehr tapfere Frau bekannt war. Und tapfer musste sie schon sein, wenn sie im damaligen Südafrika einen Inder heiratete. Sie widersetzte sich den Behörden und den kleinlichen Schikanen der Rassenschranken mit einer solchen Bravour, dass die meisten Menschen mit Bewunderung von ihr sprachen.
Irgendwann meinte René, es sei an der Zeit, einen Angelausflug zu machen. Erst später wurde mir klar, dass er aus Kapstadt entkommen wollte, denn hier feindeten ihn alle an, weil er trotz seiner Verlobung eine Affäre hatte. Wir brachen auf und fuhren an der berühmten Küste entlang, die es in puncto Schönheit mit dem ganzen Rest der Welt aufnehmen kann und die zur damaligen Zeit größtenteils wild und menschenleer war – das Meer donnerte an leere weiße Strände und schleuderte an den Felsen hohe Gischtfontänen in die Luft. Dann fuhren wir ein kleines Stück landeinwärts, über Felder und durch Weingärten bis zu einem Gemischtwarenladen, dessen farbige Betreiber mich lächelnd musterten. Sie dachten sicherlich: »Wie das neue Mädchen wohl so ist?« René mietete ein winziges Häuschen, oder eher eine Hütte, mit nur einem Zimmer, ungefähr hundert Meter vom Strand entfernt. Das Mobiliar bestand aus einem breiten, altmodischen Bett, Petroleumlampen, einem Tisch und zwei Stühlen. Draußen, unter einem Baum, war eine gemauerte Feuerstelle. Das Meer rollte donnernd und tosend an die Küste, dass die Erde unter unseren Füßen zu zittern schien. Wir machten uns sofort auf den Weg an den Strand und marschierten zwischen den niedrigen, nach Salz riechenden Sträuchern hindurch, um uns unser Abendessen zu beschaffen. Er nahm richtiges Angelzeug mit und ging bis zu einem Becken zwischen scharfkantigen Felsen, in dem das Wasser brodelte und wirbelte und in einem Gischtregen rund um ihn aufspritzte, als er hindurchwatete und auf einen Stein in der Mitte sprang. Während er dastand und fischte, umtosten die Wellen seine Knie. Jedes Mal, wenn er die Angel auswarf, brüllte und lachte er und stieß Jubelschreie aus – bis ein glitschiger, zappelnder Fisch hochsprang, den er im hohen Bogen auf die Felsen am Ufer schleuderte. Dann umarmte er mich, pitschnass und nach Meer riechend, mit unbändiger Freude und rannte gleich darauf mit mir durch die salzigen Büsche nach oben zu der kleinen Hütte,
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