Unter der Haut (German Edition)
ein, zwei Tage in Kapstadt, als mir bewusst wurde, dass man mich genauso »taxierte« wie damals, als ich nach Salisbury gekommen war. Es war eine neue Frau in der Stadt. Und ich selbst war entschlossen, mich auf dieser Reise in eine Liebesaffäre zu stürzen: Mein Gefühl sagte mir, dass mir eine zustand. (Wer oder was schuldete mir eine?) Bei einer turbulenten Wahlversammlung lernte ich einen Gewerkschafter kennen, einen Afrikaander, mit dem ich flirtete. Im weiteren Verlauf des Abends tauchte ein Mann auf, bei dem mir schon auf den ersten Blick klar war, dass er der perfekte Kandidat für eine Liebesaffäre wäre, die sich in jeder Hinsicht von allem unterscheiden sollte, was ich in Südrhodesien hätte erleben können.
Und damit stecke ich in dem Dilemma, das allen Schreibenden vertraut ist: Wie viel sagt man, und was lässt man aus? Das Problem ist, dass es den Kindern, den Enkeln, den Verfassern von Doktorarbeiten und den Professoren am allerliebsten wäre, wenn ihre Autorin oder ihr Autor, sagen wir einmal, mit fünfzig geboren würde, und zwar in dem Moment, da sie gerade festlich gekleidet und mit einem huldvollen Lächeln einen Literaturpreis entgegennimmt. »Eine fünfzigjährige Person des öffentlichen Lebens mit einem strahlenden Lächeln.« Es ist ja ganz schön, eine berühmte Verwandte zu haben, denken sich die Enkel, aber warum muss sie ständig aus ihrer anrüchigen Jugendzeit erzählen? »Mein Gott, was würden die nur sagen, wenn ihnen ihr lieber Catull über den Weg gelaufen käme.« Das Problem besteht allerdings mindestens ebenso sehr darin, dass der alte Catull häufig nichts mit dem jungen Catull zu tun haben will. Wie oft haben mir alte Freunde, mit denen ich das eine oder andere Abenteuer gemeinsam erlebt hatte, schon gesagt: »Wovon sprichst du? Ich bin sicher, dass ich nie …«
In Kapstadt hätte damals jeder schon nach einem halben Dutzend Worten gewusst, wen ich mit meinem Kandidaten meinte: »Ein Künstler, Afrikaander, groß, auffallend, gekleidet wie ein Künstler, mit dem Benehmen eines Künstlers, aber er macht sich über die Boheme lustig, indem er in allen Dingen immer leicht übertreibt.« Und heute? Wahrscheinlich erkennt ihn niemand.
Ich habe ihn zu einer Figur in
Auf der Suche
gemacht.
Er war Kommunist, aber wer war das damals nicht? Und unsere Liebesaffäre wurde nur wegen meiner Naivität möglich. Nachdem ich dem Gewerkschafter bei der ersten sich bietenden Gelegenheit mit einer Unbarmherzigkeit, über die ich heute nur so staune, den Laufpass gegeben hatte (tadelnswert, ich weiß, aber in der Liebe ist schließlich alles erlaubt), fuhr ich mit dem Künstler – nennen wir ihn René – in seinem Auto an eine Stelle in den Hügeln oberhalb von Kapstadt, wo wir uns hinsetzten und zusahen, wie sich Wolken über einen Hügelkamm ergossen wie Milch in einen Teller. Wir knutschten. Mit großem Vergnügen und großer Vorfreude. Danach setzte er mich in seinem Atelier im District Six ab und erklärte, er müsse für vier Tage auf Geschäftsreise gehen. Ich meldete mich beim
Guardian
ab und genoss meinen Aufenthalt in dem Atelier, das wunderbar nach Farbe und Terpentin roch und in dem seine Bilder und die Kopien von Meisterwerken an den Wänden hingen, außerdem eine Sammlung von alten Stichen, die für mich eine Offenbarung ganz besonderer Art war – nicht anders als ein Schatzschiff aus dem fernen China. Das Atelier befand sich in einem alten, kleinen, weiß gestrichenen Haus, das man nur unter Gefahr verlassen konnte. Banden von sogenannten Skollyboys jagten damals allen Menschen in dem Viertel Angst ein. René war in diesen Tagen mit einer anderen Frau zusammen. Skrupellos und mit dem größten Vergnügen genoss er seine Affären, die er parallel zueinander mit verschiedenen Mädchen und Frauen hatte. Es waren ständig irgendwelche Frauen hinter ihm her. Das rührte daher, dass er Frauen regelrecht anbetete. Er liebte alles an uns: wie wir aussehen, wie wir riechen, wie wir uns anfühlen, wie wir uns anhören – wie wir sind. Solche Männer sind unwiderstehlich (insbesondere dort, wo sie nur selten anzutreffen sind, wie zum Beispiel in England), sie werden von Frauen sofort erkannt und hoch geschätzt. (Es ist unmöglich, eine solche Liebe zu den Frauen vorzutäuschen.) Aber von solchen Männern sollten wir auch keine Treue oder andere häusliche oder staatsbürgerliche Tugenden erwarten. René war in jener Phase seines Lebens voll von Nostalgie und Reue – zum
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