Unter der Haut (German Edition)
handelt sich um Max Danziger und seine Pläne, das Land mit dem nächsten Haushaltsplan in den Ruin zu treiben. Er ist wahrscheinlich der eingebildetste Mann im ganzen südlichen Afrika. Wenn er spricht, höre ich ihn immer sagen: ›O glückliches Rom, in meiner Zeit als Konsul neu geboren.‹ Sie kennen doch sicher Cicero? Können wir anfangen? Ich leite meinen Haushaltsentwurf mit einem Zitat von Francis Bacon ein: ›Wer keine neuen Heilmittel anwendet, muss mit neuem Unheil rechnen, denn die Zeit ist der größte Neuerer.‹ Nun, wenn er Francis Bacon zitiert – nein, nein, nicht mitschreiben, meine Liebe – wenn Danziger schon mit Bacon kommt, dann sollte er lieber daran denken, dass der auch gesagt hat, es komme vor, dass die Kur mehr Schaden anrichte als die Krankheit … Sollen wir noch einmal von vorn anfangen? ›Ich leite meinen Haushaltsentwurf …‹«
»Wenn sie mit lateinischen Zitaten kommen«, sagte Jack Allen, »dann weiß man, dass sie etwas im Schilde führen.«
Morgens übte ich schreiben. Es war die Zeit, in der ich
Afrikanische Tragödie
mehrmals umschrieb, in der ich Kurzgeschichten und zahllose Gedichte verfasste. Mir kommt es heute so vor, als hätte ich mit den Gedichten den hinter einem Reiseschlitten herhetzenden Wölfen der Melancholie Häppchen zugeworfen, um sie auf Abstand zu halten.
Einige der Kurzgeschichten wurden in einer Johannesburger Zeitschrift mit dem Titel
The Democrat
veröffentlicht, andere in
Trek.
Meist zerriss ich das, was ich geschrieben hatte, gleich wieder.
Im Oktober 1946 begab ich mich, wie bei den beiden anderen Kindern auch, genau am Tag der Geburt in die Lady-Chancellor-Entbindungsklinik. Ich hatte keine bestimmten Erwartungen, war aber in dem gleichen Zustand angenehmer Vorfreude wie schon zweimal und so voller Kraft, dass ich am liebsten die ganze Wohnung renoviert hätte oder zu einem Fußmarsch von zwanzig Meilen aufgebrochen wäre. Diesmal wusste ich immerhin, dass dieser Energieschub die bevorstehende Geburt ankündigte.
Die Lady-Chancellor-Klinik war wie üblich zu überfüllt, als dass man Zeit für die Frauen gehabt hätte, die nicht im Kreißsaal selbst lagen. Dafür war ich dankbar. Ich hatte dasselbe Zimmer wie bei John. Für mich allein. Es war frühmorgens, und das Geschrei der hungrigen Neugeborenen traf mich ins Rückenmark, wo man, wenn man darauf eingestimmt ist, Kindergeschrei spürt. Ich wartete auf jenen unverwechselbaren Schmerz, den man ebenfalls in der Wirbelsäule spürt und der die erste richtige Wehe anzeigt. Die Schmerzen waren nicht stark. Ich wanderte im Zimmer auf und ab, bis eine Krankenschwester den Kopf zur Tür hereinstreckte, um zu fragen, ob ich schon baden wolle, und wenn ja, ob ich mir selbst eine Wanne einlaufen lassen könne. Dazu war ich gern bereit und blieb über eine Stunde im heißen Wasser liegen. Ohne die geringsten Schmerzen. Wieder im Zimmer, setzte ich mich in einen Sessel und schlief sogar ein. Ich wachte auf und ermahnte mich, dass es so nicht weitergehe, und sofort trat ein nützlicher Schmerz ein. Moment mal, dachte ich, Moment, was ist das? Kurz gesagt: Ich merkte, dass ich die Schmerzen kontrollierte. Wenn ich müde war, ließ ich mich mit schlaffen Muskeln in den Sessel sinken. Wenn ich mich erholt hatte, stand ich auf und wanderte umher und sagte mir: Jetzt werde ich eine Wehe haben, und sie kam. Von diesem Phänomen habe ich noch in keinem Buch gelesen und hätte es wohl selber nie entdeckt, wenn eine Krankenschwester meine Aufmerksamkeit abgelenkt hätte. War es das, was die schwarze Putzfrau damals gemeint hatte, als sie jener dicken, schlaffen Mutter mit dem vernachlässigten Äußeren, die gerade ihr drittes Kind bekommen hatte (und der ich jetzt ähnelte, ohne dass es mir etwas ausmachte), gesagt hatte: »Jetzt sind Sie eine richtige Frau«? Ich hatte jetzt nur noch ruhiges Zutrauen und keinerlei Ähnlichkeit mehr mit dem angespannten, von Schmerzen gequälten Mädchen der ersten Geburt. Ich fragte mich die ganze Zeit, wann wohl die richtigen Schmerzen losgehen würden. Beim zweiten Kind hatte ich auf die »richtigen« Schmerzen gewartet, aber sie waren nicht gekommen, erst ganz zum Schluss. So ging es eine ganze Weile, den ganzen Vormittag, und von Zeit zu Zeit schaute kurz eine Krankenschwester herein und fragte: »Möchten Sie eine Tasse Tee?« oder »Puh, Weihnachtshochbetrieb, wissen Sie«, oder »Halten Sie es noch einen Augenblick fest, gleich ist ein Bett frei.« Erst gegen zwei
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