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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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ein halbes Dutzend Leute auf mich und das Baby.
    Etwa um diese Zeit nahm der Kalte Krieg seinen Anfang. Urplötzlich. Von einer Woche zur nächsten wurden wir zu Parias. Ganz gewiss von einem Monat zum nächsten. Eine heilsame Erfahrung. Seit mehreren Jahren waren wir zwar Rote, Kaffernfreunde und so fort, aber gleichzeitig waren wir ganz gut angesehen, wegen Uncle Joe, wegen unseres heldenmütigen Verbündeten. In der einen Woche wurde ich noch auf der Straße mehrmals hintereinander von Leuten angehalten, die mit mir plaudern wollten – »He, warte mal, wohin so eilig?« –, aber häufiger noch von denen, für die ich bei einer Behörde anrufen, ein Interview besorgen, einen Artikel schreiben, irgendein Unrecht wiedergutmachen – kurz gesagt, Sozialarbeit machen sollte. In einer Kleinstadt können Leute so revolutionär sein, wie sie wollen, durch ihr ständiges Engagement in Fragen der Regierungspolitik und die Auseinandersetzungen mit den Ämtern haben sie Einfluss und pflegen sogar Freundschaften mit Leuten, die eigentlich ihre Feinde sind. »Sie ist unglaublich rechts, aber sie hat das Herz am rechten Fleck. Bitte sie doch …« »Er ist ein Faschist, aber in Grundsatzfragen kann man sich immer an ihn wenden.« Und jetzt wechselten alte Freunde und Bekannte plötzlich auf die andere Straßenseite, wenn sie uns kommen sahen. Auf diese Weise erfuhr ich, gleich von Anfang an, was der Kalte Krieg für den kleinen Mann auf der Straße bedeutete. Als ich später Amerikaner kennenlernte, die unter McCarthy verfolgt worden waren, erzählten sie die gleiche Geschichte. Aber dieses Verhalten ist nicht auf die Politik beschränkt. Von Zeit zu Zeit gibt es in Großbritannien einen Skandal, und der Schuldige oder das Opfer berichtet der Zeitung: »Ich hatte Hunderte von Freunden, die nichts dagegen hatten, meinen Champagner zu trinken und zu meinen Partys zu kommen, aber dann passierte diese Sache, und ich musste feststellen, dass ich nur zwei echte Freunde habe.« Nun, ich will es nicht schlimmer machen, als es war, denn da wir eine Gruppe waren, konnten wir nicht einzeln isoliert werden. Als Gruppe waren wir freilich zunehmend isoliert. Aber die Erfahrung hatte auch ihr Gutes. Wer in kommunistischen Ländern lebte, wo jeder Vierte oder Sechste ein Denunziant oder Spitzel war, entwickelte eine besondere Menschenkenntnis, die den in Demokratien lebenden Menschen unbekannt ist. Man lernt zu erkennen, wer zu einem hält, wenn es ernst wird. Das ist keine bittere Erkenntnis, auch wenn sie einem anfangs so vorkommen mag. In der Zeit, als man mir die Einreiseerlaubnis nach Südrhodesien verweigerte, gab es dort jahrzehntelang keinen Weißen, der ein gutes Haar an mir gelassen hätte. Ich war vollkommen unten durch. Aber die Zeit vergeht, und dieselben Leute, die so über mich geredet haben, schreiben Briefe, begrüßen mich mit einem Lächeln, laden mich zu Vorträgen ein und bieten mir ewige Freundschaft an. Das ist der Lauf der Welt. Und jeder von uns leistet sich gelegentlich etwas Ähnliches.
    Innerhalb weniger Wochen nach Beginn des Kalten Krieges brachen alle »fortschrittlichen« Organisationen zusammen, zuallererst natürlich »Medical Aid for Russia« und die »Friends of the Soviet Union«. In beiden Fällen bedeutete dies keinen größeren Verlust. Aber »Race Relations« brach ebenfalls zusammen, und diese Organisation hatte dafür gesorgt, dass Leute Informationen – Fakten, Zahlen, Ideen – erhielten, die sie nirgendwoher sonst bekamen. Von allen unseren Organisationen wurde diese am heftigsten attackiert, bedroht, in den Zeitungen laufend als gefährlich geschildert. Die guten Bürger von Südrhodesien wuss- ten, dass alle Pläne, die sich damit beschäftigten, das Los der »Neger« zu verbessern, kommunistisch waren. Jetzt, da der Kommunismus oder vielmehr die Sowjetunion praktischerweise zum Feind geworden war, fiel es den Leuten leicht, die Tür vor jedem gesellschaftlichen Fortschritt zuzuschlagen. Es ist heute, im letzten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts, schlicht unmöglich, die Dummheit und Idiotie glaubhaft wiederzugeben, mit der sich die weißen Durchschnittsbürger über die Schwarzen äußerten. Alles, was ich sage, muss übertrieben klingen. Aber vielleicht reicht es zu berichten, dass Mr. Charles Olley, der jede seiner öffentlichen Reden mit Bemerkungen schmückte wie: »Sie sind bloß Affen mit einem kleinen Gehirn, sie sind eine minderwertige Rasse, sie sind gerade erst von den Bäumen

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