Unter der Haut (German Edition)
Uhr zerriss mir der kalte Schmerz die Wirbelsäule, und ich drückte auf die Klingel. Und schrie auch gleich nach Chloroform, obwohl ich diesmal gesagt hatte, dass ich keines wolle. Die Leiterin war gleich zur Stelle, und bald auch Dr. Rosen, der … und im nächsten Moment wachte ich wieder auf, und die Leiterin verkündete, dass es ein prächtiger Junge sei. Wieder war es für mich selbstverständlich, dass ich, ob nun Junge oder Mädchen, ein gesundes, kräftiges Kind zur Welt gebracht hatte. Dass die Leiterin so offen zeigte, wie unsympathisch ich ihr war, machte es mir leicht zu sagen, dass ich die Nachgeburt sehen wolle, als sie herauskam. Sie war schockiert. Ich wandte mich an Dr. Rosen, der scherzhaft meinte, dass ich sie ja schließlich auch produziert hätte. Sie hielt die Nachgeburt in einer Nierenschale ungefähr fünf Sekunden lang in etwa einem Meter Entfernung vor mir hoch – gerade lange genug, damit ich sehen konnte, dass sie wie rohe Leber aussah, und machte dabei ein anklagendes Gesicht, aus dem deutlich Entsetzen sprach. Danach verlangte ich das Baby in den Arm nehmen zu dürfen, wohl wissend, dass sie sagen würde, dafür sei noch genug Zeit, wenn ich wieder im Bett läge und mich »frisch gemacht« hätte. Diesmal weinte ich nicht vor Wut und Enttäuschung. Ich hatte eine Verbündete, eine junge Krankenschwester aus England, die kein Produkt von Truby Kings Theorien war. Sie brachte mir das Kind und blieb zum Schutz dicht neben mir stehen, auch als die Leiterin wieder hereinkam und darauf wartete, dass ich ihr das Kind überließ.
Keine Frau, die mehr als ein Kind geboren hat, kann sich der Lehrmeinung anschließen, dass der Charakter nicht angeboren ist, sondern anerzogen wird. Wenn man ein Neugeborenes zum ersten Mal in den Arm nimmt, hält man das in Händen, was den Menschen ausmacht, seine wahre Natur, und was auch immer später geschieht, das ist der Grundstein, die Basis, das Fundament. Dieses Baby war anders als der unerschrockene, kämpferische John, anders als die süße, zutrauliche Jean, er war ein schläfriger, aber liebenswerter und interessierter Säugling. Mir gelang es, ihn öfter zu sehen als die beiden anderen. Er sah auch mehr von seinem Vater. Gottfried empfand die koloniale Sitte, sich mit den Kameraden zu betrinken, als barbarisch und besuchte mich oft, wobei er Freunde, die gerade da waren, einfach mitbrachte. Während ich bei den anderen beiden Kindern das Gefühl gehabt hatte, dass ich Franks Freunde empfing, waren die Besucher jetzt auch meine Freunde, und jede Besuchszeit war wie ein Fest. Gottfried befahl der Leiterin ohne Umschweife, sie möge eine Schwester mit dem Kind schicken. Sie gehorchte. Gottfried sagte, er wisse, wie man mit einer herrschsüchtigen Person umgehen müsse. Auf diese Weise verbrachte Peter jeden Tag ein paar Stunden bei den verschiedensten Leuten auf dem Arm und konnte sich so gleich daran gewöhnen, wie es zu Hause weitergehen würde. Er war, wie gesagt, nicht nur das erste Baby in der Gruppe, er war jenes Baby, das kurz nach Kriegsende Gefühle der Hoffnung und der Erneuerung weckt. Ich wurde sechs Tage eher aus der Klinik entlassen als bei den beiden ersten Kindern. Gottfried ließ Dr. Rosen schlicht wissen, dass ich nach Hause ginge. Mit leichter, lächelnder Bitterkeit sah die Leiterin zu, wie ich oder vielmehr wie Gottfried losging, um das Auto zu holen.
Das große Zimmer, das für gewöhnlich so vielen Gästen Platz bot, konnte ohne Weiteres auch ein Baby aufnehmen, dessen Bettchen nebenan auf dem Korridor stand. Peter verbrachte seine Zeit im Wesentlichen mit uns zusammen. Da er das dritte Kind war, hatten wir eine denkbar einfache Babyausstattung. In einem heißen Klima braucht man nicht mehr als ungefähr zwei Dutzend Windeln – die in wenigen Stunden auf der Leine vor der Wohnung trockneten – sowie Hemdchen und Jäckchen. Meine Mutter war verzweifelt, weil sie diese Ausstattung für ein Zeichen von Geiz und mangelnder Zuneigung zu dem Kind hielt. Schon lange vor der Geburt hatte der Teddybär in seinem Bettchen auf ihn gewartet. Und für wen war der Bär? »Aber was soll das?«, rief meine Mutter. »Es dauert doch noch ein paar Jahre, bis er sich dafür interessiert.«
Diesmal war es angenehm und einfach, wieder ein Baby zu haben, weil ich mich mit den Lehren von Dr. Spock, der von uns Frauen damals als Befreier gefeiert wurde, gegen die Krankenschwester wehren konnte, die Hausbesuche machte. Wir waren uns gegenseitig
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