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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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außerordentlich unsympathisch, aus ideologischen Gründen. Sie war eigentlich eine nette Schottin. Sie leugnete nicht, dass das Baby gut gedieh, dass die Waage, ohne die sie keinen einzigen Schritt machte, zu meinen Gunsten ausschlug und nicht zu ihren. »Aber Sie werden ihn verziehen«, rief sie, als ich sagte, dass ich den Kleinen nach Bedarf und nicht nach dem Stundenplan füttere. »Sein Charakter! Haben Sie darüber nachgedacht?« Woraufhin ich entgegnete, dass mein Charakter mithilfe von Dr. Truby King geformt worden sei, was sie doch wohl kaum als Empfehlung ansehen könne. Sie stellte ihre Besuche bald ein. Nicht nur Gottfried und ich hatten Freude an dem Kleinen, es schien, als fänden alle meine Bekannten Vorwände, um vorbeizuschauen und ihm beim Baden zuzusehen oder mit ihm zu spielen. Aus den Camps kamen unsere Freunde von der Royal Air Force, die seit drei oder vier Jahren jedes normale Familienleben entbehrten und wussten, dass sie auf einen Platz auf einem überfüllten Schiff warten mussten und dass es möglicherweise noch Monate oder Jahre dauern würde, bis sie endlich nach Hause kämen. Junge Männer, die unter normalen Umständen keine Zeit für einen Säugling gefunden hätten, wetteiferten darum, ihn auf dem Arm halten zu dürfen oder die Badewanne halb volllaufen zu lassen und das Baby im Wasser hin und her zu bewegen, eine Hand fest unter dem Kopf, während Peter strampelte und krähte.
    Ich war bis über beide Ohren verliebt in dieses Kind. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen, als ich ein Foto an eine Freundin schickte und sie in dem beiliegenden Brief fragte, ob es nicht das hübscheste Baby sei, das sie je gesehen habe. Sie schickte das Bild mit dem Vorschlag zurück, dass ich es mir doch einmal richtig ansehen solle, und schrieb: »Er ist nicht schöner und nicht hässlicher als tausend andere Babys auch. Bist Du vollkommen übergeschnappt?« Ja, sie hatte wohl recht, aber so geht es Frauen nun mal, und es dauert ja nur ein paar Monate.
    Nachmittags fuhr ich meistens mit dem Baby zu meinem Vater. Er stützte sich mühselig auf seinen Ellbogen, nahm die Hand des Kleinen und betrachtete die junge, schimmernde Haut, wie das nur jemand kann, der dem Tode nahe ist. »Das ist meine Hand«, erklärte er, als sich die kleinen Finger an einem knochigen Finger festkrallten. »Ist doch meine, oder?«, fragte er jetzt unsicher und sah mich unter seinen weißen Augenbrauen hervor an. Ich wusste, was er fragen wollte, denn es ging ihm nicht wirklich um Sterblichkeit – Fortbestand – Erbe – Tod, sondern um die Unabwendbarkeit des Schicksals. »Man kann absolut nichts dagegen machen«, hätte ich diesem alten, kranken Mann am liebsten gesagt. »Siehst du es nicht?« Wer war es denn gewesen, der mich gelehrt hatte, die Dinge so zu sehen, vor langer Zeit, wahrscheinlich sogar schon vor meiner Geburt? Vor meinem geistigen Auge tauchte viel zu oft die langwierige, schleppende, fünf Tage lange Reise von Kapstadt nach Salisbury auf, im staubigen Abteil, während die Räder ratterten: So ist es, so ist es, so ist es, so ist es …
    Manchmal fragte er: »Wozu hast du das getan?«, und beugte sich vor, um mir ins Gesicht zu starren. Vielleicht hatte er es bis dahin wirklich nicht gesehen. Sterbende sehen oft Dinge, die sie früher nicht wahrgenommen haben. In dem aufmerksamen, scharfen, intelligenten Blick, mit dem ein sterbender alter Mann oder eine sterbende alte Frau dich ansieht, liegt eine Frage, aber wie lautet sie? Vielleicht: »Wie kommt es, dass ich bis jetzt nie wirklich dein Gesicht gesehen habe? Warum habe ich mir nie die Zeit genommen, wirklich hinzuschauen, die Dinge richtig zu
sehen?
« Und dann fiel er mit einem Seufzer wieder in die Kissen, ließ den Kopf zur Seite sinken und betrachtete im Liegen den lebhaften kleinen Kerl, der neben ihm strampelte. Gerade so, als hätte er noch nie ein Baby gesehen. Manchmal war er zu sehr von Medikamenten betäubt, um richtig wach zu werden, oder er wachte auf und schlief gleich wieder ein. Aber ich hatte den Eindruck, er wusste, dass ich da war, denn wenn ich anfing zusammenzupacken, damit ich mich mit dem Baby davonstehlen konnte, sah ich den brennenden Blick seiner dunklen Augen unter den weißen Brauen, und er winkte mir, dass ich bleiben solle. So saß ich dann eine Stunde, zwei oder drei Stunden bei ihm, bis es Zeit war, den Kleinen nach Hause und ins Bett zu bringen. Und wenn ich in die Wohnung zurückkehrte, wartete dort häufig schon

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