Unter der Haut (German Edition)
war, dass ich im Zug saß und in die falsche Richtung fuhr: die Krankheit meines Vaters, sein stetiges, langsames Sterben.
Es ist eines der merkwürdigsten Phänomene, dass man aussehen kann wie das blühende Leben, obwohl man innerlich unglücklich ist. Als ich nach Hause kam, war ich braun gebrannt, im fünften Monat schwanger und strotzte geradezu vor Gesundheit. Gottfried freute sich, dass ich eine so schöne Zeit verbracht hatte, war aber beunruhigt darüber, dass ich meine normale Figur verloren hatte und nun … Gottfried hätte auf meine Schwangerschaft gar nicht freundlicher reagieren können, aber er war kein Mann, der die damit verbundenen Entwicklungen auch genossen hätte. Er hatte inzwischen mit einem von den heiratsfähigen Mädchen eine Affäre gehabt. Da dieses Mädchen heute zur gehobenen Gesellschaft gehört, verlieren wir besser kein weiteres Wort darüber.
Gottfried und ich nahmen unser unglückliches, aber freundliches Eheleben wieder auf.
Es gibt zu dieser Geschichte nicht viel zu erzählen, auf das ich stolz sein könnte, aber Gottfried und ich, die wir regelrecht dazu geboren zu sein schienen, uns jeden Tag mindestens ein Dutzend Mal aus der Fassung zu bringen und zu schockieren, benahmen uns wunderbar, das lässt sich nicht bestreiten.
Eine Szene: In einem der, wie es mir vorkommt, unsäglich vielen kleinen Schlafzimmer, in denen wir gewohnt haben, liegen in einer Kommodenschublade zehn Paar vorbildlich zusammengerollte Socken, nach Farben geordnet und akkurat nebeneinander. In der Schublade daneben liegen fein säuberlich geordnete Unterhosen und Unterhemden. In der breiten Schublade liegen, keinen Millimeter von ihrem Stammplatz weggerückt, drei Stapel mit gebügelten Hemden, weiß, farbig und gestreift. In der Kleiderkammer hängen seine weißen, cremefarbenen und kaffeebraunen Leinen- und Baumwollanzüge, und nirgendwo ist eine Falte oder ein Staubkörnchen zu sehen.
Ich betrachte diese Perfektion voll Ungläubigkeit und Verzweiflung. Gottfried sieht bei mir herausgezogene Schubladen, aus denen in einem einzigen Farbensalat Strümpfe, Büstenhalter, Unterhosen und Pullover quellen. Mein Schrank ist vollgestopft mit Kleidern und Hosen. Als ich seinen Gesichtsausdruck sehe, erfasst mich Reue. »Ach, Gottfried«, rufe ich, »es tut mir so leid, ich werde mich wirklich bemühen.« Und dann umarme ich ihn aus einem Impuls heraus. Er bleibt stocksteif in meinen Armen stehen. »Es freut mich, dass du das sagst«, erwidert er kalt. »Aber ich erlaube mir, daran zu zweifeln.« Er ist wütend. Viel schlimmer noch, er ist unglücklich, er ist entmutigt. »Um Gottes willen, Gottfried, es sind doch nur Kleidungsstücke.« »Da bin ich anderer Meinung«, sagt er und wendet sich ab.
Und dann liegt er in seinem Bett, und ich liege in meinem. Wir starren beide in die Dunkelheit. Er macht Anstalten, etwas zu sagen, und ich wappne mich dagegen. Doch dann sagt er langsam, bedächtig und humorvoll: »Eine solche Gegensätzlichkeit ist eher ein Unglück als ein Verbrechen.«
Vor Erleichterung lache ich laut los. Und er lacht, weil ich lache.
Wir rauchen. Der Rauch, der durch das Zimmer zieht, ist in den Lichtstreifen zu sehen, die aus der gegenüberliegenden Wohnung zu uns herüberdringen. Es gibt auch Musik, Tanzmusik aus der Wohnung auf der anderen Seite des Hofs, Tanzmusik und Zigarettenrauch ziehen durch das Zimmer, nie das eine ohne das andere. Aus der Wohnung auf der anderen Seite des Hofs dröhnt immer Musik, Tag und Nacht, selbst um drei, vier Uhr früh. Eine schöne Zeit …
Some day he’ll come along
The man I love
And when he comes my way
I’ll do my best to make him stay …
Die Stimmen einer Mutter und ihrer Tochter, die den ganzen Krieg hindurch getanzt und Partys gefeiert haben, und die Stimmen verschiedener Royal-Air-Force-Männer hallen in unserem Zimmer wider.
Somebody loves me, I wonder who –
I wonder who she can be.
Somebody loves me, I wish I knew …
»Ja«, sagt Gottfried gedehnt, »es heißt immer, dass die Liebe die Welt in Bewegung hält.«
»Obwohl es eigentlich nicht danach aussieht«, sage ich.
Gottfried räuspert sich in der Art, die ankündigt, dass er wohl gleich einen Witz macht. »Das ist ein negativer Gedanke, Genossin.«
»O nein, verzeih mir, verzeih mir.«
Er zündet sich eine neue Zigarette an. Ich auch.
Auf der anderen Seite des Hofs wird gesungen.
They asked me how I knew,
My true love was true …
Wir summen mit den Leuten von
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