Unter der Haut (German Edition)
Irgendetwas in meinem Schicksal oder meiner Bestimmung oder vielleicht auch in meinem Charakter versetzt mich manchmal in einen Zustand der Stagnation, in dem ich dann regungslos verharre. Ich warte. Ich bin sehr gut im Warten. Das Warten hat wie so vieles zwei Seiten und beinhaltet gleichzeitig bereits die Veränderung. Man wartet auf Ereignisse, weil man weiß, dass sie auf einen zukommen – oder besser, dass sich etwas, was unausweichlich ist, einer inneren Logik folgend, langsam seinen Weg bahnt. Dann, wenn sich die Umstände ändern, fasst man wieder Tritt und setzt sich in Bewegung. Dieses Warten kann allerdings auch in Lethargie enden und dazu führen, dass man eine Gelegenheit versäumt. Mir blieb damals also nichts anderes übrig, als zu warten, in dieser langsamen, wirren, quälenden Nachkriegszeit.
Ich schlief nicht gut. Gottfried ebenfalls nicht. Wir lagen jeder im eigenen Bett wach und wussten, dass der andere wach und unglücklich war. Oder wir rauchten, wobei die Spitzen unserer Zigaretten aufleuchteten und erloschen wie Glühwürmchen. Wir waren uns in diesen langen, schlimmen Nächten so zugetan wie in den besten Zeiten unserer Ehe.
Er sagte vielleicht: »Ja, nun, nicht eben angenehm, diese Zeiten.«
Und ich sagte: »Ich nehme doch an, dass sie
irgendwann einmal
zu Ende gehen.«
»Ja, doch, ich glaube, davon können wir mit Sicherheit ausgehen.«
Ich lauschte immer den Zügen, die eine halbe Meile von uns entfernt geräuschvoll hin und her rangiert wurden, und dem lang gezogenen, nachklingenden Abschiedskreischen, wenn einer nach irgendwohin anfuhr. Ich hörte oft den Milchwagen die Straße entlangkommen, hörte, wie er anfuhr, wie er haltmachte, wie das Pferd sein Geschirr schüttelte, hörte die Stimme des Milchmanns, der dem Pferd im Morgengrauen nur leise zuredete, damit er nicht die weckte, die noch schliefen. Er sprach mit dem Pferd in der Sprache der Shona.
Zum Klappern der Hufe und Klirren der Milch
verhallte der Schlag der Stunden,
Und die Kirche ragte im Licht der Dämmerung empor
in einen Himmel aus Seide.
Ich träumte diese Zeilen. Beim Aufwachen lagen mir immer ein paar Verse auf der Zunge. Wie schade, dass ich keine richtige Dichterin bin. Wenn ich eine wäre, wäre der Filter oder das Sieb, durch das Töne aus dem Meer der Geräusche fallen müssen, um zu Wörtern zu werden, feiner und engmaschiger ausgefallen. Ich dachte damals immer: Wenn ich schon Wortfolgen träume, warum dann keine schöneren? Aber das heißt ja wirklich, einem geschenkten Gaul ins Maul zu schauen.
Jetzt begeisterten wir uns für gesellschaftliche Unternehmungen, die wir früher als »bürgerlich« und demzufolge als verachtenswert beschrieben hätten. Wir gingen an den Samstagen abends zum Tanzen ins Highlands Park Hotel, ein paar Meilen außerhalb der Stadt. Das Hotel lag nicht weit entfernt von dem Haus der Edmonds, bei denen ich Kindermädchen gewesen war, gegenüber vom Rumbavu Park. Es gab einen großen Saal zum Tanzen, eine Bar und einen kleinen Platz unter den Musasabäumen, wo man in den Tanzpausen sitzen konnte. Dort war Gottfried ganz Russe, zerschmiss Gläser und erklärte den schwarzen Musikern, sie müssten lernen, Zigeunermusik zu spielen. Ich saß unter den Bäumen und wälzte – ziemlich betrunken – in meinem Kopf die Frage, wie ich die Atmosphäre dieses Ortes zum Ausdruck bringen könnte, wenn ich darüber schrieb:
Landumschlossen.
Athen Gouliamis und sein Freund, die inzwischen nach Griechenland aufgebrochen waren, hatten einmal vorbeigeschaut und gesagt, sie verstünden jetzt, warum sich die Bourgeoisie so widerwillig von ihren Privilegien trennte. Der Mond, eine traurige, flüchtige Erscheinung, begleitete diese lärmende Festlichkeit.
Einmal mischte sich unter uns Tanzende, einen ziemlich provinziellen Haufen, eine Frau in einem wunderschönen, schwarzen Spitzenkleid, die in den Armen eines Mannes lag, der doppelt so alt war wie sie und noch Uniform trug – die unserer Armee, nicht die der englischen. Sie war wirklich schön, aber die Gesichtshaut verlor schon ihre Festigkeit wie eine Wachsmaske, die zu sehr der Hitze ausgesetzt wird. Sie sah mir an, dass ich begriff, in welcher Lage sie war. Ihre Situation war mir nämlich durchaus vertraut. Eine Engländerin heiratete einen Mann aus den Kolonien, um ihre Zukunft zu sichern. Wir standen gemeinsam im Mondlicht auf der Veranda, und sie sagte: »Ich war in London Mannequin.« Dann: »Ich kann dieses Kleid hier nicht
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