Unter der Haut (German Edition)
tragen, oder?« »Warum nicht? Es wertet uns ein wenig auf.« Dann, plötzlich, eine Bitte und eine Feststellung in einem: »Werde ich hier glücklich sein?« Und dann wirbelte sie in den Armen dieses stolzen älteren Herrn davon.
Ich las und las und las. Ich las um mein Überleben. Wie schwer lässt sich doch das Demoralisierende an solchen harten Zeiten schildern, die einem vorkommen, als würden sie nie mehr enden, und die sich wohl nur durch das Auge der uralten, niemals blinzelnden Eidechse betrachten lassen. Auf das Schreckliche des Ganzen habe ich in
Heimkehr
hingewiesen. Aber genug davon. Ich las Gedichte, sagte – allerdings leise im Flüsterton – Verse von Eliot oder Yeats vor mich hin, wie ein Mantra. Ich las Proust, der mir Kraft gab, weil sich seine Welt so unglaublich krass von all dem unterschied, was mich umgab. Sein Werk ist nicht nur ein literarischer Genuss, sondern auch ein historischer. Proust beschreibt in seinem siebenteiligen Romanzyklus auf ironisch-distanzierte Weise, wie die Aristokratenfamilie de Guermantes schließlich Menschen aufnimmt, die sie zuvor dermaßen verachtet hatte, dass sie jedem Zusammentreffen mit ihnen aus dem Weg gegangen war. Die Tochter der Kurtisane, Odette, heiratet einen Aristokraten, die vulgäre Madame Verdurin wird zur Princesse de Guermantes. Wir sind eingeladen, lesend den sich ewig wiederholenden Vorgang zu begleiten – einen der großen lang dauernden, sich nur langsam bewegenden Kreisläufe innerhalb einer Gesellschaft –, wie die Zurückgewiesenen und Verachteten von einst aufsteigen und wiederum diejenigen verachten, von denen sie später verdrängt werden. Ich hätte diese beispielhafte Geschichte nutzen können, um mich in Bezug auf die Strukturen der »weißen Vorherrschaft«, die mir so unzerstörbar vorkamen, aufzumuntern, aber so klug war ich nicht.
Ich träumte jede Nacht vom Meer, das mit einem traurigen, langsamen Auf und Ab der Nostalgie, der Sehnsucht, an die Gestade meines Schlafes rührte. Der Titel
Landumschlossen
hat seine Wurzeln in dieser Zeit.
Ich fing an, Afrikaans-Unterricht zu nehmen. Was hätte es Lächerlicheres geben können? »Nun, wenn ich hier sowieso nicht mehr wegkomme, dann kann ich genauso gut gleich die Sprache lernen, die …« Meine Lehrerin war eine junge Afrikaanderin, mit der ich in dem Café im Park saß und eine Menge lachte. Ihr Mann, ein Lehrer, hatte einen Roman geschrieben, den er mir brachte, damit ich mein Urteil abgab. Es war eines von den Werken, die fast schon sehr gut sind, aber noch einmal überarbeitet werden müssen. Es war lyrisch und voll von Liebe zur Natur und zu den Frauen, etwas, was die Afrikaans-Literatur auszeichnet. Aber ich sagte zu ihm: »Sehen Sie, Sie können einfach kein Buch schreiben, das eine Kopie von
In einem anderen Land
ist.« Selbst der Schluss, wo Regen auf den trauernden Liebenden fällt, war identisch. Er hatte
In einem anderen Land
nie gelesen und auch noch nie etwas davon gehört. Es war nicht das letzte Mal, dass ich den Erstlingsroman eines unschuldigen Plagiators zu lesen bekam.
Außerhalb von Salisbury lag – und liegt noch immer – der Mermaid’s Pool, wo von dichtem Busch umgebene Felsen ins Wasser abfallen. Es war und ist ein Platz zum Picknicken, obwohl man heutzutage dafür bezahlen muss und Hotdogs und Coca-Cola kaufen kann. An Sonntagen kam dort häufig eine seltsam zusammengewürfelte Gesellschaft zusammen, manchmal zwanzig oder dreißig Leute. Harry und Monica. Dora und ihre zwei Kinder. Wenn sie in der Stadt war, Mary mit ihren zwei Kindern. Frank Wisdom und Dolly, die inzwischen verheiratet waren. Jean und John. Gottfried und ich und unser Kind. Hans Sen. Es waren normalerweise auch ein, zwei von den Mädchen mit dabei, die in Gottfried verliebt waren, und ein paar von den Royal-Air-Force-Leuten, die entweder zu unseren Freunden oder zu denen meiner Mutter zählten. Dazu noch meine Mutter. Als sie zum ersten Mal von diesen Picknicks erfuhr, war sie entsetzt darüber, doch dann fing sie an, die Regie zu übernehmen. Ich war entsetzt. Anfangs hatten an den Picknicks nur Gottfried und ich, das Kind, Hans Sen, unsere Freunde und Dora teilgenommen. Dora erzählte Frank von den Picknicks, woraufhin er sofort sagte, dass das für die Kinder eine gute Gelegenheit sei, ihre Mutter zu sehen. Bis dahin hatte meine Mutter mehrere Anlässe geschaffen, bei denen ich die Kinder in sorgfältig ausgewählten Situationen »treffen« durfte. Das heißt in von ihr
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