Unter der Haut (German Edition)
das war vorbei. Doch Mais wollte er anbauen. Und das in einer Gegend, die noch »für Siedler erschlossen« wurde. Sie wären nicht auf die Idee gekommen, dass das Land den Schwarzen gehört hatte. Man brachte den Wilden die Zivilisation, so sahen sie das, denn das British Empire trug den segensreichen Fortschritt in die ganze Welt. Ich glaube, es kann nicht oft genug gesagt werden, dass es ein Fehler wäre, über vergangene Denkfehler zu richten, ohne sich zu fragen, wie unser heutiges Denken auf unsere Nachkommen wirken könnte. Ein weiterer Grund, weshalb sich meine Eltern ähnlich fühlten wie die englischen Siedler an der Ostküste Amerikas, lag wohl darin, dass sie ein fast leeres Land kolonisierten. Als die Weißen vierunddreißig Jahre zuvor in Ostrhodesien angekommen waren, lebten, so nimmt man heute an, eine viertel Million schwarze Menschen in dem Land, das in etwa so groß ist wie Spanien. Als meine Eltern 1924 ankamen, waren es eine halbe Million (siehe Anmerkung S. 8 ).
Mein Vater war einige Zeit unterwegs und kehrte mit der Nachricht zurück, dass er eine Farm gefunden habe, oder vielmehr das Land, auf dem eine Farm entstehen sollte: ungerodeter Busch, vollkommen unerschlossen, nichts da, kein Haus, kein Brunnen, keine Straße. Meine Mutter machte sich mit ihm auf den Weg, um es anzuschauen. Sie wurden von einem Mitarbeiter des Land Department gefahren. Wir Kinder wurden mit Biddy O’Halloran in Lilfordia zurückgelassen. Dort war es dann auch, wo ich den Gipfel kindlicher Bosheit erreichte. Mein Bruder und ich waren mit Biddy in einer Hütte untergebracht. Wie muss es für sie gewesen sein, sich die Luft und den Platz mit zwei kleinen Kindern zu teilen, die beide so viel Zeit auf dem Töpfchen verbrachten? – die Sauberkeitserziehung blieb nämlich ein herausragendes Prinzip der Charakterbildung. In der Hütte standen zwei niedrige, in der damals üblichen Bauweise gefertigte Betten. Man ließ in den harten Lehmboden kurze, gegabelte Pfähle ein. Auf diese Gabeln kamen Stangen. Den so entstandenen rechteckigen Rahmen bespannte man mit Stierlederstreifen, auf die man die Matratze legte. Für Harry war ein großes Kinderbett aus Metall da. Es versteht sich von selbst, dass Biddy meinen Bruder sehr gernhatte, er war niedlich, gehorsam, süß, das ideale Kind; auch ich hätte ihn mir vorgezogen. Die Lilfords hatten zwei in meinen Augen große Mädchen, zehn oder elf Jahre alt, braun gebrannt, mit bloßen Armen und Beinen, barfuß, sportlich und sehnig, völlig anders als alle Kinder, die ich bis dahin gekannt hatte. Sie ließen den kleinen Harry mitspielen, mich aber nicht. Ich fand sie schlau und verschlagen und grausam. Ich hatte Schwierigkeiten, ihren Akzent zu verstehen. Ich hatte Angst vor ihnen. Ich wollte schrecklich gern mitspielen. »Gleich«, sagten sie. »Gleich.« Und meinten damit vielleicht – irgendwann – nie. Das Ausgeschlossensein glich einem stechenden Schmerz.
Da fing ich an, Sachen mitgehen zu lassen, lächerliche kleine Dinge wie Rougetöpfe, Haarschleifen, Scheren und sogar Geld. Ich leugnete alles, bekam verzweifelte, erbitterte Wutanfälle, als würde mich der Hass bei lebendigem Leib verbrennen. Als meine Eltern wiederkamen und fragten: »Aber wozu eine Schere?«, entgegnete ich, dass ich Biddy umbringen wollte. Ihnen war klar, dass ich endlich wieder einen kindgerechten Stundenplan, einen geregelten Alltag brauchte, aber wie und wann? Bevor ich den bekommen könnte, müssten wir ein Heim haben, und das war noch nicht gebaut. Wir machten uns mit einem Planwagen in Richtung Norden auf den Weg. Als Straße gab es nur einen Fuhrweg, und es war Januar, Regenzeit, und der Weg war aufgeweicht. Der Wagen wurde von sechzehn Ochsen gezogen. Es passten drei Erwachsene und zwei Kinder und alles Lebensnotwendige hinein, aber die Schrankkoffer mit den eleganten Kleidern, den Vorhangstoffen von Liberty, dem schweren Tafelsilber, den Perserteppichen, dem kupfernen Waschgeschirr, den Büchern und Bildern und dem Klavier mussten nachgeschickt werden, mit der Eisenbahn. Wir waren fünf Tage und Nächte mit dem Wagen unterwegs, wegen Hochwassers in den Flüssen und der schlechten Wegstrecke, aber ich habe nur eine einzige Erinnerung daran, die nichts mit Wut oder Unglücklichsein zu tun hat, sondern mit einer neuen Landschaft; eine Sturmlaterne schaukelt und schaukelt am offenen Fond des Wagens, der dunkle Busch zu beiden Seiten des Weges, der Sternenhimmel. Es war ein Planwagen, wie man
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