Unter der Haut (German Edition)
herunterschauten, und hinter ihnen die Eltern in ihren guten, sauberen Sachen und den Kapitän persönlich in diesem Teil des Schiffes, wo sie nicht mit ihm gerechnet hatten. Und sie warfen sich mit solchem Schwung in den Rhythmus der Arbeit, dass sich zwischen ihnen und den Flammen Bogen aus schwarzen Kohlen bildeten, und dann sahen sie herauf, und ihre weißen Zähne blitzten in den verschmierten Gesichtern. Wie die
besprizorniki
an den Bahnsteigen in Russland stammten sie aus der anderen Welt, in der Leute Löcher in den Kleidern hatten und hervorstehende Knochen in den Gesichtern. Ich hatte Angst, als ich auf die Männer hinunterschaute, die schweißüberströmt Kohlen schaufelten, die gleiche Angst, die ich beim Blick aus den schmutzigen, gesprungenen Fenstern im Zug verspürt hatte.
In der Walvis Bay begegnete ich zum ersten Mal dem Tod, am Strand, wo sich das Meer bei Ebbe vom Sand zurückzog und kleine Fische sterbend in einer Meerwasserpfütze zurückließ. Sie zappelten und wanden sich und schnappten nach Luft, und dann sah ich überall im Sand haufenweise kleine tote Fische liegen. »Sind sie tot?«, fragte ich, um bestätigt zu bekommen, dass das Wort zu dem passte, was ich sah. Meine Eltern verstanden den Ernst der Lage, und mein Vater sagte: »Ich fürchte, ja«, und meine Mutter sagte: »Ist doch nicht so schlimm.« Ein atemberaubend schönes Abendrot überzog den Himmel, und ich begriff: So geht es zu auf der Welt, und man kann nichts dagegen tun.
Irgendwo am Kap liefen Strauße mit langen Schritten über ein sandiges Stoppelfeld, weit hinter ihnen am Horizont blaue Berge.
Weite. Die leeren Weiten Afrikas. Aber die Familie fuhr mit dem Schiff weiter die Küste entlang bis nach Beira, an das ich keine Erinnerung habe, weder an die Stadt noch an die Eisenbahnfahrt hinauf nach Salisbury, noch an Salisbury selbst, das damals ein kleines Nest war, das man zu Fuß in zwanzig Minuten von einem Ende zum andern durchqueren konnte, noch an die zwanzig Meilen lange Fahrt nach Lilfordia, wo wir wohnen sollten, bis eine Farm gefunden war.
Warum erinnere ich mich an Strauße und nicht an die Ochsenkarren in den Straßen von Salisbury, die so breit waren, dass die Karren darauf wenden konnten? Warum an die Eisenbahn in Russland, aber nicht an die Eisenbahnstrecke Beira-Salisbury, die bestimmt genauso exotisch war? Warum bleibt das eine im Gedächtnis und das andere nicht? Wenn ich beschlossen hatte, nur das Unangenehme zu behalten, warum dann die Strauße, die mich so entzückten?
In Lilfordia lebte die Familie Lilford, die später im rhodesischen Befreiungskrieg zu Ruhm und Ansehen kommen sollte wegen der Verdienste des alten Lilford für die Sache der Weißen. Damals standen dort eine Vielzahl von
rondaavels
, solide gemauerte Hütten mit Strohdach, inmitten von Strauchwerk, dem wir uns, wie wir unverzüglich gewarnt wurden, wegen der Schlangen nicht unvorsichtig nähern sollten. Den Stimmen der Erwachsenen – der Lilfords – war zu entnehmen, dass sie nicht schlimmer waren als eine beim Spielen umgeworfene Kerze oder Lampe, eben nur etwas, worauf man achtgeben sollte.
Mein Vater ließ uns dort und zog los, um eine Farm zu suchen, ich glaube, zu Pferd. Damals gab die weiße Regierung an ehemalige Soldaten praktisch umsonst Land ab, und die Land Bank half mittellosen weißen Farmern mit langfristigen Krediten. So hatte auch mein Vater vor, seine Farm über einen Kredit zu finanzieren. Meine Eltern besaßen 1000 Pfund, und er bekam eine Rente für sein amputiertes Bein. Des Weiteren standen ihm kostenlose Reparaturen seines Holzbeines zu sowie ein Ersatzholzbein. Das war lange vor den heutigen Wunderbeinen, die tanzen, klettern, springen können – alles, was ein normales Bein kann, und mehr.
Für den Distrikt Lomagundi entschied er sich, weil man dort Mais anbaute. Er lag im nordöstlichen Südrhodesien, einem dünn besiedelten, wilden Landstrich, der bis an den Sambesi-Graben reichte. Banket, ein großer Teil von Lomagundi, war nicht nur ein gutes Maisanbaugebiet, es war vor allem berühmt wegen der vielen Quarzadern, die das Land durchzogen, und hatte seinen Namen von den
banket
genannten Gesteinsformationen im weiter südlich gelegenen Witwatersrand. Dementsprechend gab es dort auch Goldminen. Schon an diesem Punkt müssen meine Eltern gemerkt haben, dass die Verlockungen der Empire Exhibition mit der Realität wenig gemein hatten. Im Krieg hatte man mit Mais ein Vermögen verdienen können, aber
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