Unter der Haut (German Edition)
leichtsinnig oder unehrlich, und er versuchte, meinem Vater die Schuld zuzuschieben. Diese Geschichte habe ich, ins Humorvolle gewendet, in
Auf der Suche
beschrieben, aber für meine Eltern war sie der größte Schrecken dieser
»Gott, war das eine schreckliche Zeit«.
Während wir sie durchmachten, entbehrte sie jeder Komik.
Mein Vater ritt von Anfang an jeden Tag aus, um die Arbeiten an der Farm zu beaufsichtigen. Er hatte schon damals einen
bossboy
eingestellt, Old Smoke aus Njassaland, der seine Angehörigen mitgebracht hatte, und die Männer saßen während eines nicht unerheblichen Teils des Vormittags bei langen Beratungen und besinnlichen Betrachtungen auf den beiden Enden eines gefällten Baumstammes und schauten den Arbeitern zu. Beide Männer rauchten, mein Vater seine Pfeife und Old Smoke
dagga
oder Hanf. Dieser Gewohnheit verdankte er seinen Namen, Old Smoke. Meine Mutter wanderte gewöhnlich zumindest für einen Teil des Tages hinüber und nahm uns mit, damit wir beim Bäumefällen, beim Stümpfeausgraben, beim Brunnenbohren oder den neuen Rindern in ihren
kraals
zuschauen konnten. An zwei Stellen, und zwar dort, wo die Rutengänger Wasser gefunden hatten, wurden Brunnenschächte ausgehoben – damals holte sich jeder vor dem Brunnenbau einen Rutengänger, und später auch für die Bohrlöcher. Vor allem sahen wir beim Hausbau zu. Das Gras für das Strohdach stand noch grün in dem
vlei
, aber das Pfostengerüst und die Lehmwände konnten schon hochgezogen werden. In
Heimkehr
habe ich geschildert, wie das Haus aus dem Material entstand, das im Busch wuchs, und nie wieder wird ein Haus für mich den gleichen anheimelnden Charme besitzen. In London wohnt man in Häusern, in denen vorher andere Leute gewohnt haben, und wenn man umgezogen oder gestorben ist, ziehen wieder neue ein. Ein Haus, das aus den Pflanzen und der Erde im Busch gebaut wird, ist eher wie ein Mantel oder ein Kleid, das man bald wieder ablegt, denn es wird wahrscheinlich – durch Feuer, Insekten oder schwere Regenfälle – wieder zu Busch geworden sein, lange bevor man stirbt. Sobald das Gras trocken war, wurde das Dach gedeckt, denn nichts war wichtiger, als den Whiteheads zu entfliehen.
Meine Eltern hatten einen Platz für das Haus ausgesucht, von dem alle Nachbarn abgeraten hatten, weil er oben auf der Kuppe eines steilen Hügels lag, was bedeutete, dass man jede Kleinigkeit mühsam mit Ochsenkarren bergauf und bergab befördern musste. Es war die schönste Stelle auf ihrem Land, deshalb hatte mein Vater sie ausgesucht und meine Mutter die Wahl gutgeheißen. Von der Vorderseite des Hauses ging der Blick nach Norden bis zu den Ayreshire Hills, über kleinere Höhenzüge,
vleis
und zwei Flüsse hinweg, den Muneni und den Mukwadzi. Nach Osten erstreckte sich eine weite Ebene bis an die Umvukwes oder The Great Dyke, deren Felsen je nach Tageslicht in kristallinen Blau-, Rosa-, Violett- oder Dunkelrottönen schimmerten. Die Sonne ging über den lang gezogenen, niedrigen Huniyani-Bergen unter. In der Regenzeit war die Gegend von einer verschwenderischen, üppigen Schönheit, zum größten Teil unberührter Busch, der aber selbst dort, wo er für die Feuerungsanlagen der Minen abgeholzt worden war, frisch und grün nachwuchs. Überall war der Waldboden von Quarzadern und -zinnen durchzogen, und es gab keinen Stein oder Fels, an dem die Hämmer der Goldsucher nicht eine Kruste aus glänzendem Eisenkies, Pyrit oder Katzengold freigelegt hatten.
Schon Wochen bevor das Haus fertig war, als es zunächst ein Skelett aus im Boden verankerten Holzpfosten, dann ein Holzgerüst mit einer Haut aus Lehm, dann ein roh mit Stroh gedecktes Haus mit Fensterlöchern war, saßen meine Eltern auf Benzinkisten davor (an derselben Stelle, wo sie bald auf Liegestühlen sitzen würden) und betrachteten die Berge oder den Sonnenuntergang oder Wolkenschatten oder den Regen, der über die Landschaft trieb. Ich saß bei meinem Vater auf dem gesunden Bein und schaute auch.
Als wir das Haus auf der Hügelkuppe beziehen konnten, waren davor und zu beiden Seiten erst dreißig Meter Busch gerodet. Hinten, wo die Hütten für die Fahrzeuge und die Vorräte standen, waren gut hundert Meter von Bäumen befreit worden. Der alte Buschwald, der lebendige, von Tieren und Vögeln bewohnte wilde Busch, blieb noch mindestens zwanzig Jahre erhalten, und es konnte bis zu dem Tag, als meine Eltern die Farm im Zweiten Weltkrieg verließen, passieren, dass wir nur wenige Meter
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