Unter der Haut (German Edition)
ihrem Leben so genossen hat wie die Gespräche mit ihrer Freundin Daisy am warmen Feuer, die sie sich mit Schokolade oder in der Glut gerösteten Kastanien noch versüßten.
Ach, du liebe Güte, es ist schon drei Uhr. Die Kinder müssen geweckt werden, sonst sind sie heute Abend gar nicht ins Bett zu kriegen. Nicht, dass Doris richtig geschlafen haben wird, sie ist immer so quengelig und weinerlich, aber vielleicht ist sie eingenickt. Die Frau fühlte sich von Schlafenden umgeben, im eigenen Zeitraum sicher, unbeobachtet. Ihr Mann lag weltvergessen in seinem Liegestuhl und schnarchte leise und regelmäßig. Die Hunde hatten sich lang ausgestreckt. Diverse Katzen, davon eine an Tigers Bauch zusammengerollt, alle lagen im Tiefschlaf. Im Schlafzimmer der kleine Harry, ihres Herzens Trost und Wonne, er schlief wie ein Säugling, die Fäuste neben dem Kopf geballt. Bevor sie ihn weckte, beugte sie sich über ihn und bewunderte ihn hingerissen. Sie liebte seine Art aufzuwachen, sein leises Wimmern, wenn er klein und süß in ihren Armen lag, das Gesicht an ihrem Hals, und sich anschmiegte, als ob er sich ganz und gar wieder in ihr verkriechen wollte. Sie nahm sich viel Zeit, ihn zu wecken, ihn sachte ins Bewusstsein zu holen, und steckte ihn dann sanft in Hemd und Hose. »Geh du Papa wecken«, sagte sie zu ihm. Sie ging in das Zimmer nebenan und schlug sich die Hand vor den Mund. Wo war das Kind? War sie weggelaufen? Sie drohte ständig damit – natürlich nur zum Spaß. Nein, da lag sie, die Arme um die graue Katze geschlungen, und schlief fest. »Na also«, dachte die Mutter und hatte das letzte Wort: »Du warst doch müde, und ich habe es die ganze Zeit gewusst.« Sie schaute still auf das tränenverschmierte Gesicht des kleinen Mädchens hinab. Sie hatte immer ein schlechtes Gewissen, wenn sie das Kind mit dieser Katze sah, wegen der anderen, die sie in Teheran zurückgelassen hatten, aber was hätte sie tun sollen? Schließlich hätten sie nicht monatelang mit der Katze durch die Lande reisen können, und außerdem war sie so hässlich und alt gewesen. Aber nie hatte sie solche Tränenbäche gesehen wie damals, als die Familie die Katze zurückließ, es war lächerlich, es stand in keinem Verhältnis.
Die Mutter sagte energisch, ohne das Kind zu berühren, in einem Ton, aus dem gleichzeitig Bedauern sprach – eine komplexe Entschuldigung für das, was sie dachte –: »Komm, steh auf, du hast schon über eine halbe Stunde geschlafen.«
Das Kind schlug die Augen auf und starrte an seiner Mutter vorbei in das Zimmer, als hätte es keine Ahnung, wo es war. Dann spürte sie die Katze an ihrem Gesicht und lächelte. Sie sah zu ihrer Mutter auf und setzte sich hin und sagte mit einem Kopfschütteln, mit dem sie ihr Gesicht von den schweißverklebten Haaren befreite: »Ich habe nicht geschlafen.«
»Oh, doch«, sagte die Mutter triumphierend.
»Nein, habe ich nicht. Ich war die ganze Zeit wach.«
»Wasch dir das Gesicht. Dann trinken wir Tee.«
Zum Tee saß die Familie im heißen Schatten unter dem Strohdach der Veranda, es gab Ingwer- und Butterkekse, Törtchen, Kuchen, Scones mit Butter und Marmelade. »Du bekommst erst ein Stück Kuchen, wenn du ein Scone gegessen hast.« Disziplin und Selbstbeherrschung waren das Motto. Die Hunde drehten sich so um, dass sie mit den Nasen zum Essen lagen. Die Katzen sammelten sich um Teller voll Milch. Das kleine Mädchen balancierte eine Untertasse mit Milch vorsichtig durch das Haus zu ihrer speziellen Freundin, der grauen Katze. Sie setzte sich auf den Boden und schaute ihr beim Trinken zu, sah, wie sich die rosa Zunge für jeden Schluck zusammenrollte. Die Katze machte miau, danke, und leckte sich ein bisschen, um wach zu werden. Dann trat sie hinaus, um sich zu den anderen Katzen zu gesellen, zu den Hunden und der Familie.
Die Nachmittage waren mit Erlebnissen angefüllt, die meine Mutter inszenierte, um unseren Horizont zu erweitern und uns zu bilden. Wir hatten ein Baumhaus, ein paar Bretterplattformen im Musasabaum direkt hinter dem Haus. »Komm hoch in unser Haus, komm hier hoch«, riefen wir Papa zu, wenn er sich mit seinem steifen Bein schwerfällig auf die unterste Plattform hievte. Hinter ihm kam Mami heraufgeklettert, und dann erzählte sie uns aus England, und ihre Stimme klang traurig, so traurig, dass er sie zurechtwies: »Lass doch diesen Jammerton, meine Gute. England hatte auch seine Schattenseiten.« Er erzählte uns manchmal von einem anderen England,
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