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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Argentinien kam, wo die gleichen Feldfrüchte angebaut werden wie im südlichen Afrika, Kürbisse und Mais, Bohnen, Kartoffeln und Tomaten, Paprika und Zwiebeln, begegnete ich annähernd dem gleichen Einfallsreichtum. Wir aßen grüne, vom Kolben geschnittene Maiskörner in Käsesoße oder in Teig gebacken und in Milchpudding oder in Suppen mit Kartoffeln und Kürbis. Maismehl wurde zu Kuchen und Pfannkuchen verarbeitet sowie zu verschiedenen Arten von Brei, oder es wurde dem Brotteig beigegeben. Es gab Dutzende von Kürbisrezepten. Junge Erdnüsse kamen in Fleischeintöpfe, Erdnussbutter gab es zu allen möglichen Soßen und Broten.
    Wir aßen – was wir alles aßen. Das Mittagessen war eine ausgiebige Mahlzeit, mit Fleisch, immer mit Fleisch, denn damals aßen noch alle Fleisch, außer einigen wenigen Spinnern. Es gab Roastbeef mit Kartoffeln oder mit Steak und Nieren gefüllte Pasteten oder Eintöpfe oder Shepherd’s Pie, eine Pastete aus Kartoffelbrei auf Hackfleisch, und ein halbes Dutzend Gemüsesorten aus dem Garten unten am Brunnen. Und schwere Nachspeisen und Käse.
    Danach legte man sich hin.
    »Aber ich bin nicht müde, Mami, Mami, ich bin nicht müde.«
    Es half nichts. In diesem Klima, in dieser Höhenlage – beides wurde zur Begründung angeführt – mussten Kinder sich nachmittags hinlegen. Ich bettelte, ich flehte, ich weinte sogar, um mich nicht hinlegen zu müssen, während meiner Mutter langsam der Geduldsfaden riss. »Was für ein Unsinn! Was soll das Theater?« Sie wusste nicht, dass mir eine Ewigkeit bevorstand: Sie freute sich auf ein paar Minuten ohne Verantwortung für die Kinder, Zeit, in der sie einen Brief nach Hause schreiben konnte. Die orangefarbenen Vorhänge wurden vor die grüne Gaze am Fenster gezogen, und der Stein, der die Tür aufhielt, weggenommen. »Guck, hier ist die Uhr«, und sie lehnte sie an den Kerzenständer an meinem Bett. Ich hatte die Uhr lesen gelernt, weil mir der Mittagsschlaf so verhasst war. Mir wurde das Kleid über den Kopf gezogen. Sie hielt mir die Tagesdecke hoch. Ich schlüpfte drunter. Sie drehte sich um, in Gedanken schon bei ihrem Brief. Jetzt war ich froh, dass sie mich vergessen hatte. Sie schloss die Tür zum Schlafzimmer, wo mein kleiner Bruder bereits schlief. Ich sprang unverzüglich aus dem Bett und zog die Vorhänge wieder auf, weil ich das stickige, rötliche Dämmerlicht nicht ausstehen konnte.
    Ich legte mich flach auf den Rücken und stierte nach oben. Die Kühle unter dem Stroh umfing mich freundlich. Und es wird ja auch vorübergehen, genau wie gestern und vorgestern. Eine Biene, die sich ins Zimmer verirrt hatte, stürzte ab, summte laut, und ich hatte einen Grund, noch einmal aufzustehen und sie hinauszulassen, aber ich wagte nicht, den Stein wieder in die Tür zu legen. Auf dem Rücken, mit ausgestreckten Armen, nahm ich meinen kühlen Körper in Besitz, in dem es pochte und pulsierte und gluckerte. Ich wackelte mit den Füßen, ich prüfte meine Finger, einen nach dem andern, sie waren alle da, alle heil, meine Freunde, mein Freund, mein Körper. Ich schnupperte an meinen Fingern, an denen noch der Geruch von Roastbeef und Möhren hing. Die intensive Süße des goldenen Sirups vom Pudding stieg mir in den Kopf und machte die Nasenlöcher weit. Mein Unterarm roch nach Sonne. Die feinen goldenen Haare legten sich flach, wenn ich darauf blies, wie das hohe Gras an den Gräben im Wind. Stille. Die leblose, volle, zufriedene Mittagsstille im Busch. Eine Taube ruft. Eine zweite gibt Antwort. Einen Augenblick lang ist die Welt voller Tauben, und unten am Hang ertönt lautes Flügelschlagen, und die schwarze Form eines Vogels saust an meinem Fensterquadrat vorbei. In meinem Bauch gluckert es. Ich lege einen Zeigefinger darauf und will das Grummeln weiterschieben, aber es ist schon hinuntergewandert, Richtung … aber ich hatte meine Blase längst in der Gewalt und gelernt, ihr ängstliches Quengeln zu überhören: Gehst du mit mir raus zum Klosett? Meine Hände glitten, wie die Hände eines Arztes, über meine Schenkel bis zu den Knien. Da gab es irgendwo einen Punkt, wenn man auf den drückte, dann pikste es unterhalb der Schulter. Die beiden Stellen waren miteinander verbunden. Es gab auch noch andere solche Stellen im Fleisch oder auf der Haut. Ich entdeckte immer neue, vergaß, wo sie waren, und entdeckte sie abermals. Da, über den Knöcheln … Ich legte mich auf den Rücken und streckte die Beine in die Luft, drückte mit dem

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