Unter der Haut (German Edition)
hatten. Sie steckte sich Vaters alten Armeerevolver, mit dem sie unliebsame Schlangen zu erledigen pflegte, in ihren Cretonnebeutel mit den Schildpattgriffen und nahm weiterhin denselben Weg. Bei Mr. Muirhead entdeckte sie ungeöffnete Umschläge mit Geldschecks im Papierkorb und schimpfte: »Wenn Sie dieses Geld nicht brauchen, Mr. Muirhead, kann ich Ihnen eine Liste mit karitativen Organisationen geben.« »Ach, dieses schmutzige Geld, Mistress Tayler«, schrie er, »alles nur schändlicher Gewinn, sagt die Bibel.« Eigentlich war es Mrs. MacDonalds Aufgabe, für Mr. Muirhead zu sorgen, aber sie war faul, und ihre Familie murrte Tag und Nacht darüber, wie schlecht Mr. Muirhead sie bezahlte. Meine Mutter versuchte, Mrs. MacDonald klarzumachen, dass Mr. Muirhead, wenn sie nett zu ihm wäre, vielleicht auch nett zu ihr wäre. Aber Mrs. MacDonald war nicht bereit, sich dazu herabzulassen, für ihn den Schmutzeimer zu leeren, nicht für das Geld, das sie von ihm bekam. Mr. Muirhead hatte keinen »Boy« – er liebte seine Unabhängigkeit. Die Situation war vollkommen festgefahren. Unterdessen behaupteten die MacDonalds, meine Mutter kümmere sich nur um Mr. Muirhead, weil sie hoffe, in seinem Testament bedacht zu werden. Warum sollte sie es sonst tun? Mr. Muirhead war einer der Ersten, die sich einen Packard anschafften, und damit brauste er nach Salisbury, ein Zwerg von einem Mann, der beim Fahren durch das Steuerrad spähte. Manchmal bat mein Vater ihn, mitfahren zu dürfen. Er machte dem alten Herrn Vorhaltungen, wenn er mit hundertdreißig Stundenkilometern über die holperige Piste raste. »Ich trete vor Gottes Thron, wenn meine Zeit gekommen ist«, brüllte Mr. Muirhead, der taub war. »Aber muss meine Zeit dann auch gekommen sein?«, brüllte mein Vater genauso laut zurück.
Anders als Mr. McAuley freute sich Mr. Muirhead nicht besonders, wenn wir Kinder auftauchten und darauf warteten, dass er uns zum Tee und zu einem Plausch an seinen schmutzigen Küchentisch einlud. Seine kleinen grauen Augen fixierten uns misstrauisch. »Was schickt Mistress Tayler mir? Lasst mal sehen, lasst mal sehen!« Denn sie gab uns immer Gemüse aus ihrem ertragreichen Garten für ihn mit und manchmal sogar Blumen. Aber Mr. Muirhead konnte nicht verstehen, was die Blumen sollten.
Die Dodds, deren Farm in der Nähe des Bahnhofs in Banket lag, hatten vier Söhne. Mrs. Dodd war, wie Mrs. Matthews, eine kleine, freundliche Frau, und Mr. Dodd war ein hagerer, gutmütiger Mann, der aussah wie ein Gelehrter. Seine Farm bewirtschaftete er mit den vier Söhnen, die er schon, als sie sechs waren, zu seinen Hilfskräften machte. Mrs. Dodd hatte sich eine Tochter gewünscht, aber beim vierten Sohn hatte Mr. Dodd gesagt: »Jetzt reicht es, mein Schatz, mehr können wir uns nicht leisten.« Bei unseren Besuchen dort wurde Harry sofort in die Jungenbande aufgenommen, aber manchmal besuchte ich sie auch allein, und dann setzte ich mich den ganzen Tag mit Mrs. Dodd auf die Veranda und ließ mich von ihr ausfragen, während sie mich sanft anlächelte und seufzte und seufzte – und mir noch ein kleines Marmeladentörtchen aufdrängte, nur noch dies eine, nur noch ein kleines Stückchen Kuchen.
Auch die Colbornes wohnten in der Nähe des Bahnhofs. Mrs. Colborne war eine hagere, strenge Frau mit einem trockenen Sinn für Humor, die meinem Vater, wie er klagte, gewaltige Angst einjagte. Auf jeden Fall machte sie ihrem Mann Angst, einem dicken, dümmlichen Kerl, der sich zu seinem Selbstschutz aufs Witzemachen verlegt hatte. Meine Mutter und Mrs. Colborne waren befreundet, bis meine Mutter starb, zwei intelligente Frauen, denen das Leben die Möglichkeit verwehrt hatte, ihre Talente zum Einsatz zu bringen. Anne Colborne hätte mit mir befreundet sein sollen wie Dick mit meinem Bruder, aber sie war ein zu höfliches, fügsames kleines Mädchen. Wahrscheinlich wäre das ängstliche kleine Mädchen, das versteckt hinter Tiggers Maske lebte, gut mit dem ängstlichen kleinen Mädchen ausgekommen, das sich, wie ich mit ziemlicher Sicherheit vermute, hinter ihrem ständigen Gehorsam verbarg, wenn sich die beiden je begegnet wären.
Mit den Colbornes tauschten wir Bücher und Zeitschriften aus.
Zwei Familien lebten so weit von uns entfernt, dass man nicht einfach vorbeifahren konnte, sondern sich förmlich einladen musste: »Kommt und verbringt den Tag bei uns und bleibt zum Essen.«
Die Livingstones, das waren Captain Livingstone
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