Unter der Haut (German Edition)
unserem Kind?«, sagt ihr Mann. So ging es mehr als einmal. Ich habe ihre trockenen, strohigen Haare für Mary Turner in
Afrikanische Tragödie
übernommen.
Die Nachbarn, an die ich mich am besten erinnere, waren die Larters, die vier Meilen entfernt wohnten – die Cyril Larters, denn es gab auch noch einen Bruder. Cyril Larter war ein gedrungener, kräftiger Mann mit einer Stoppelfrisur, kalten blauen Augen und stets einem sarkastischen Grinsen im Gesicht, das seine Zähne entblößte. Er machte mir Angst. Von allen Farmern im Distrikt, von denen keiner für seine Sanftmut berühmt war, war er der brutalste im Umgang mit »seinen« Eingeborenen. Und er war stolz darauf. Er fand immer einen Anlass, um von seinem Geschick in der Behandlung seiner Arbeitskräfte zu erzählen, während er mit kalten Blicken die Reaktionen der Zuhörer beobachtete. Er war es, der seinen Hausboy einmal einen Tag lang fesselte, um ihm das Geständnis zu entlocken, dass er irgendwelche Seife gestohlen habe. Als er ihn dann noch schlug und der Mann sich beschwerte und sagte, dass nach dem Gesetz nur die Polizei das Recht habe, einen Arbeiter zu schlagen, band er ihn an seinem Auto fest und ließ ihn den ganzen Weg bis zur Polizeiwache in Sinoia mitlaufen. Jedes Mal kramte er eine Geschichte dieser Art hervor, um meinen Vater zu schockieren, und wandte sich dann grinsend ab. Er trug eine
sjambok
, die Lederpeitsche, die eigentlich bereits der Vergangenheit angehörte. Cyril Larter war der Vertreter eines bestimmten Typs, einer Art, einer Gattung. Männer wie ihn gab es überall auf den Farmen und in den Minen Südafrikas. Sie bezogen ihr Selbstbewusstsein aus ihrer Härte im Umgang mit ihren schwarzen Arbeitern. Sie wären nie auf die Idee gekommen, sich zu schämen. Sie konnten gerecht sein in dem Sinne, dass sie die Löhne regelmäßig zahlten und sich an die Buchstaben des Gesetzes hielten, oder sie konnten ungerecht sein. Aber brutal waren sie alle. Wahrscheinlich hatten ihre Kindheitserlebnisse sie dazu gemacht. Männer wie sie stammten aus ganz Europa, nicht nur von den Britischen Inseln.
Mrs. Larter war eine sanfte gute Seele, die mich, weil sie merkte, dass meine Mutter und ich nicht miteinander auskamen, oft für mehrere Tage zu sich einlud. Sie teilte mir ein großes Zimmer zu und betrat es nie. Meine Mutter verstand nicht, dass Kinder einen privaten Bereich brauchen. Sie platzte zu jeder Tages- und Nachtzeit in mein Zimmer, nicht unbedingt aus Neugier, sondern einfach weil sie irgendwohin unterwegs war. Auf halbem Weg runzelte sie die Stirn, weil ihr ein Punkt auf ihrer stets ellenlangen Liste einfiel, und blieb stehen. War noch Öl in der Wandlampe, waren noch Streichhölzer bei der Kerze? Hatte ich heute eine frische Unterhose angezogen? Sie nahm Kleidungsstücke von dem leeren Bett, inspizierte sie, kontrollierte meinen Hals oder meine Hände, sagte: »Du machst dir die Augen kaputt, wenn du bei Kerzenlicht liest«, und eilte, von Sorgengeistern verfolgt, wieder hinaus.
Mrs. Larter und ich saßen auf ihrer Veranda und plauderten über das, was ich gerade las – sie war voll Wehmut, denn sie wäre gern eine gebildete Frau gewesen. Sie nähte mir Kleider, die meinem Alter entsprachen. Auch wenn ich mich stundenlang auf dem großen Stausee treiben ließ, die Habichte am Himmel beobachtete und den Wasservögeln zusah, die neben mir auf den Wellen schaukelten, verbot sie es mir nie und beruhigte mich noch, indem sie sagte: »Bilharziose braucht fließendes Wasser.« Meiner Mutter erzählte sie nichts, denn die wäre außer sich gewesen vor Sorge. Mrs. Larter war unendlich lieb. Unglückliche Kinder oder junge Menschen können überleben, wenn sie nur einen Menschen wie Alice Larter haben, der ihnen seine Freundschaft schenkt. Ich denke oft an sie. Ja, auch sie war einsam: Wie hätte es anders sein können als sanfte Seele mit einem so brutalen Mann?
Eine Meile oder zwei von den Cyril Larters entfernt lag die Farm der Lattys. Sie war eine große, knabenhafte Frau, gertenschlank wie die Mannequins in den Modejournalen. Und sie trug die neuen langen Kleider aus zartem fließendem Stoff. Oft hatten diese Kleider, die sie im Übrigen selber nähte, Puffärmel, die oben aus demselben Stoff wie das Kleid bestanden, unten jedoch aus Organdy, sodass man durch den durchsichtigen steifen Stoff, der in einem weiten, bunten Bogen fiel, einen verführerisch schönen Arm blitzen sah. Es war unübersehbar, dass sie unsere Farmer und deren
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