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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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mit dem Holzbein, Mrs. Livingstone, die Frau des Captain, und Master Livingstone, der Sohn. Sie lebten in einem großen Steinhaus mit einer wunderschönen Aussicht auf die wilden Umvukwes mit ihrem kristallklaren Licht und den unendlichen Weiten. Jeder dieser drei stillen, höflichen Menschen lebte unter einer unsichtbaren Glasglocke, in der die Luft dünn und grau war, eine Luft, die ihre Bewegungen verlangsamte und ihre Augen stumpf machte. Sie waren die standesgemäßen Engländer, nach denen meine Mutter sich so sehr sehnte, aber sie waren selbst für sie zu viel des Guten. Den Mann und die Frau, ohne den Sohn, habe ich in der Geschichte
Familie de Wet kommt nach Kloof Grange
verarbeitet.
    Die Shattocks lebten in einem Haus, das aus einem halben Dutzend Rundhütten bestand, die durch Bougainvillea-überwucherte Laubengänge miteinander verbunden waren. Es lag am Rand eines felsigen Flusses mit tief eingeschnittenem Bett, der bei Regen anschwoll und gewaltige Wassermassen mit sich führte. Überall im Haus hingen Bilder von dem kleinen Kind, das auf der Überfahrt ertrunken war. Die Familie machte weit mehr als das übliche Quantum an Unglück durch. Zwei Söhne gehörten noch dazu, Jim und Nick. Nick war, wie seine Eltern ihm immer wieder versicherten, schön wie ein Engel und dem ertrunkenen Baby zum Verwechseln ähnlich. Er fiel später im Krieg. Leonard Shattock, ein dünner, großer, braun gebrannter Mann voll rastloser Energie, starb plötzlich an Bilharziose. Nancy Shattock ging zurück nach England und trat einem Orden bei. In Jim war ich zwei Jahre oder mehr unsterblich verliebt. Nur wenige Erlebnisse in meinem Leben waren erotischer als dieses mit Jim: Nachdem wir Kinder den Morgen damit zugebracht hatten, zu viert auf den
kopjes
am Fluss herumzuklettern, stellte er sich dicht vor mich hin, sah mich mit seinen großen grauen Augen unverwandt an und sammelte sanft und bedächtig büschelweise Blackjacksamen vom Musselin über meiner noch jungen und empfindlichen linken Brust, während ich mich zwang, ihn ebenfalls anzusehen, und kaum zu atmen wagte.
    Auf einen solchen Tag bei Freunden folgte die Heimfahrt im alten Overland durch den nächtlichen Busch mit all seinen Tieren. Alle paar Minuten mussten wir anhalten, weil uns grüne oder gelbe Augen von der Straße anleuchteten und sich wie Lampen ausschalteten, sobald das Tier sich umdrehte, um im dunklen Dickicht des Waldes Schutz zu suchen – ein Waldducker, eine Buschantilope, ein Kudu oder eine Wildkatze. Manchmal erstrahlte plötzlich ein Baum an der Straße, als wäre er mit unzähligen grünen Feenlichtern bestückt – dabei waren es nur kleine Affen, wir nannten sie Buschbabys, die sich an die Zweige klammerten und uns nachschauten, wenn wir vorbeifuhren. Einmal erkannte ich Zebras. Es hieß, dass Zebras bereits aus dem Distrikt abgewandert seien, und als ich sagte: »Halt, da ist ein Zebra«, antworteten sie: »Unsinn.« Aber es waren doch Zebras, deren Streifen im Scheinwerferlicht blendend weiß aufleuchteten. Wahrscheinlich war unsere Gegend nur eine Etappe auf ihrer Wanderung nach Norden, fort von all den neuen Farmen. 1992 stand ich im Busch und sah zu meinen Füßen Elefantenmist: »Ach ja, sie sind hier erst kürzlich durchgekommen. Wegen der Dürre.«
    Zu den Watkins konnten wir mit dem Fahrrad fahren. Er war ebenfalls einer der hageren, getriebenen, fast schwarz gebrannten Männer, die ums nackte Überleben kämpften. Mrs. Watkins war dünn, mit blonden, strohigen Haaren und blauen Augen, aus denen religiöse Überzeugung strahlte, sie war Mitglied der Christian-Science-Kirche. Sie erlitt eine Fehlgeburt nach der anderen. Jedes Mal rief Mr. Watkins außer sich vor Angst bei Mutter an, und jedes Mal fuhr sie hin und fand eine Patientin vor, die aufgrund des Blutverlustes mit dem Tod rang und jede Medizin verweigerte. Schwester McVeagh duldete keine Widerrede, sie packte Mrs. Watkins ins Auto und brachte sie nach Sinoia ins Krankenhaus. Dort rettete man ihr das Leben, und sie kam blass und blutarm wieder heim. Dann saßen die vier bei uns auf der Veranda. Meine Mutter war geduldig und witzig, mein Vater reizbar, Lyall Watkins von Sorgen zermartert und Mrs. Watkins voll bitterer Vorwürfe. »Das hätten Sie nicht tun dürfen, es ist gegen meinen Glauben!« »Das mag sein, meine Liebe, aber Sie sind am Leben, und sonst wären Sie gestorben«, entgegnet meine Mutter vernünftig. »Ja, du hättest sterben können, und was wäre dann mit

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