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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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in Sirup, steckte ihn durch ein Loch im Draht, und die Motte krabbelte auf den Finger, umklammerte ihn mit ihren weichen Beinen und labte sich – ein paar Minuten, eine halbe Stunde lang. Eine große, braune, wundervolle Motte mit gefiederten Fühlern. Dann flog sie wieder davon, zurück in ihr Leben im Busch. Abend für Abend ein Gast, bei dessen Kommen mir das Herz vor Freude und Dankbarkeit höher schlug. Ich machte es mir zur Gewohnheit, auf die Motte zu warten, nach dem Flügelflattern im gelben Lichtschein des Fensters Ausschau zu halten. Und eines Abends war es aus, keine Motte mehr; aus dem einen oder anderen Grund war ihre Zeit abgelaufen.
    Oder wir saßen alle im Dunkeln vorn vor dem Haus, wo kein Lampenlicht mehr hinfiel, und beobachteten das Leben der Sterne, um genau den Moment abzupassen, da eine Sternschnuppe vom Himmel fallen würde. Dann schien uns der Busch mit all seinem Leben zu umschließen, und das Haus schrumpfte in sich zusammen, bis es unter dem weiten Himmel ganz klein war. Aus dem
compound
drang das Geräusch von Trommeln und manchmal von Stimmen. In der trockenen Jahreszeit brannten auf den Hügeln und den Bergkämmen Feuer, die wie lange helle Ketten über das dunkle Land krochen. In der Regenzeit loderten und zuckten manchmal Blitze über den Himmel. Ich habe einzelne Erlebnisse im Gedächtnis – mit dem Kudu, der Motte oder der Kobra, die in das Wohnzimmer gekrochen kam und hinter einem Bücherregal hervorgescheucht werden musste –, aber über viele, viele Jahre saßen wir an unzähligen Abenden draußen. »Sollen wir die Stühle rausstellen?«, fragte mein Vater dann. »Gut, aber vergiss nicht, dass die Kinder bald ins Bett müssen«, entgegnete meine Mutter. Doch sobald wir draußen unter den Sternen und dem Mond waren, verlor das Bett an Wichtigkeit. Mein Bruder schlief gelegentlich in seinem Liegestuhl ein und musste geweckt werden, dann rieb er sich die Augen und verzog sich gähnend. Manchmal schlich ich mich, nachdem ich ins Bett geschickt worden war, im Dunkeln wieder ums Haus, tätschelte den Hunden den Kopf, damit sie nicht bellten, und schaute mir meine Eltern in ihren niedrigen Liegestühlen an, wie sie in die Nacht hinausblickten und rauchten, die Zigaretten glühten rot, verglommen und leuchteten wieder auf. Sie sprachen leise, um die Tiere im Busch, die Ziegenmelker und Eulen nicht zu stören. »Ach, meine Gute«, konnte mein Vater dann mit leidenschaftlicher, ungläubiger Stimme ausrufen, »so etwas, so was wie dies hier, das macht doch alles wieder wett, oder?«
    »Ja, das tut es wohl«, pflichtete sie ihm dann bei, allerdings mit einem Seufzer.
    In jenen Ferien lernte ich Auto fahren, denn mein Vater fuhr nicht gern mit seinem Holzbein, und mein Bruder war nicht immer da. Ich konnte im Alter von elf Jahren fahren. Alle Jungen auf den Farmen konnten fahren, aber die Mädchen nicht. Ein zehnjähriger Junge fuhr häufig mit einem Pflugteil, einem Sack Mehl oder Früchten zu einer benachbarten Farm, und wenn ein Polizist von der Station in Banket ihm zufällig auf dem Pferd oder Motorrad begegnete, nahm er davon keine Notiz. Jeder wusste, dass die Farmerssöhne ihren Vätern zur Hand gehen mussten wie Verwalter oder Knechte.
    Mein Vater war zu dieser Zeit noch gesund und die Familie noch hoffnungsfroh. Wenn nicht bei Mais oder Tabak – denn es hatte sich herausgestellt, dass Tabak weniger einbrachte, als man sich versprochen hatte –, so konnten immer noch die Preise für die anderen Feldfrüchte in die Höhe schnellen – wie es damals im Krieg mit den Maispreisen geschehen war. Sonnenblumen und Erdnüsse, Hirse und Baumwolle, etwas musste sich doch als Trumpf erweisen! Unterdessen schimpfte mein Vater, dass er Tier- und Vogelfutter anbaue. Wenn die Sonnenblumen reif waren, klaubten die großen Vögel die glänzenden schwarzen Samen mit ihren Krallen heraus, und auf jedem der riesigen Samenteller klafften Lücken in den engen Körnerreihen. An den Hirsepflanzen taten sich die kleinen Vögel gütlich. Schweine gruben die Erdnüsse aus. Aber egal, irgendetwas würde den Durchbruch bringen. Ein plötzlicher Wurf, ein unverhofftes Glück, ein Lotteriegewinn oder eine Pfanne, in der das Gold nicht körnerweise, sondern zentimeterdick lag; mögliche Glücksfälle beherrschten die Familiengespräche noch nicht gänzlich, aber es sollte nicht mehr lange dauern, bis es so weit war. Ich hatte schon damals gelernt, nicht hinzuhören, ebenso mein Bruder. Nicht selten

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