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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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durfte die Kuh nicht melken; seine Hände waren zu grob, und das würde die Kuh unruhig machen. Wenn sie dies – nicht selten – sagte, gab Bob keine Antwort, sondern entblößte die Zähne über dem Pfeifenstiel und lachte stumm.
    Durch die Kuh war es für sie schwer, sich jemals weit vom Haus zu entfernen. Sie hatten nur einen »Boy«, einen Diener für alles, dem sie die Kuh nicht anvertrauen mochten. Außerdem waren sie arm, vornehm, aber arm, Gefangene ihres winzigen Einkommens. Er war fast den ganzen Tag unterwegs auf seinen Spaziergängen durch den Busch, die Hunde gehorsam immer hinterdrein. Sie blieb im Haus und weinte viel. Im Übrigen kochte sie, kümmerte sich um ihre Pflanzen und nähte. Sie war mit ganzen Schrankkoffern voller Liberty-Stoffe in die Kolonie gekommen. Genau wie meine Mutter. Steckt in der Frage, welche Rolle die Stoffe von Liberty in der letzten Phase der Geschichte des britischen Weltreichs gespielt haben, das Thema für eine Doktorarbeit? Meine Mutter liebte auffallende und klare Muster, während Joan Strohhüte mit kleinen geblümten Stoffschleifen verzierte, sich hübsche rosarote und blaue Blümchen-Tücher um den Hals drapierte und – groß, schweinchenrosa und seufzend – in Liberty-Batist mit Streublumenmuster und Spitzenborten schlafen ging.
    »Es sind alles Reste«, erklärte sie mir stolz. »Ich habe sie alle aus dem Ausverkauf, da konnte ich mir keinen entgehen lassen.« Dabei saß sie auf ihrem Cretonnesofa, die Beine gespreizt, damit die vielen geblümten Stoffreste auf ihrem Schoß Platz hatten, ein Meter hier, drei viertel Meter da. Sie nahm einen Rest, der noch genauso gefaltet war, wie ihn ein gehetzter Verkäufer bei Liberty’s vor zehn Jahren zusammengelegt hatte, hielt ihn hoch, betrachtete ihn kritisch, wie eine reiche Frau im Juweliergeschäft Diamanten untersucht, die sie auf keinen Fall zu kaufen gedenkt, und schleuderte ihn dann mit einer lässigen Handbewegung auf einen Stuhl. »Ich hänge nicht an ihnen«, verkündete sie stolz. »Sie bedeuten mir nichts. Ich werde dir einen oder zwei davon mitgeben, wenn du gehst. Du kannst dir daraus eine hübsche kleine Bluse nähen.«
    Ich hielt mich genauso viel draußen auf wie Bob, war wie zu Hause auf der Farm stundenlang allein unterwegs, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Das
veld
war anders als bei uns, wenig Bäume, größtenteils weites, offenes Hügelland. »Wie in Kent«, sagte Joan, wobei ihr sofort die Tränen in die Augen stiegen. Sie waren immer gerötet, vom Heimweh oder wegen Bob.
    Das Gras war kurz und weich, und über mir schwirrten und sausten die Vögel umher und sangen aus Leibeskräften. Kleine Tiere liefen erschrocken davon, wenn man sich näherte, und ich entdeckte ein Duckerjunges, nicht viel größer als eine Katze, das unter einem Busch kauerte, einen Stein als Schutz im Rücken, von der Mutter dort zurückgelassen. Vielleicht war sie davongesprungen, als sie mich kommen sah, und wartete nur darauf, dass ich mich entfernte. Aber ich konnte sie nirgends auf der weiten Grasfläche sehen. Und eines Tages entdeckte ich eine Quelle hoch oben an einem Abhang, der zu einem Felssporn hinaufführte, an dem Habichte ihre Nester bauten. Ich sah sie nicht sofort. Das kurze Gras war feucht … Dann war es nass und sumpfig … Dann gab es glucksend unter meinen Füßen nach … Dann stand ich bis zu den Knöcheln im Wasser. Ich watete vorsichtig durch das Wasser, bis ich an der Oberfläche in der Nähe einer großen Granitplatte Blasen aufsteigen sah. Ich kniete auf dem heißen Granit nieder und beugte mich vor. Da war eine freie Fläche im Gras mit sauberem, weißem Sand, in den das sachte unter dem Stein hervorgurgelnde Wasser feine Muster spülte. Eine Quelle. Ringsum stand das Gras meterweit im nassen Matsch. Ich musste einen zehn Meter weiten Bogen machen, bis ich die Stelle fand, wo das Wasser unterm Gras versteckt den Abhang hinunterfloss. Es mündete in eine Rille, über der sich die Gräser beugten und in der Mitte trafen, ging dann in einem Bett aus kleinen weißen Kieselsteinen in ein Rinnsal über und schwoll schließlich zu einem rauschenden Bach, der schnell und klar über Steine floss und mit jedem Schritt bergab breiter und tiefer wurde. Ich folgte dem Bachlauf, die heiße Sonne im Rücken, vom Geruch des nassen Grases halb betäubt, bis dahin, wo er in einen Musasahain verschwand, um in ein Flüsschen zu münden, das von einer anderen höher gelegenen Stelle kam. Und dann wurde

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