Unter der Haut (German Edition)
diese Jagden zurück.) Ich müsste eigentlich auch von informativen Gesprächen mit den Bediensteten erzählen können, die in dieser Gegend nicht wie in Banket aus dem Njassaland stammten, sondern aus dem Volk der Shona oder Manika. Sie trugen gestärkte weiße Uniformen und weiße Tennisschuhe, und ich hatte bis dahin noch nie schwarze Füße mit Schuhen gesehen. Sie schienen mit nichts anderem beschäftigt zu sein, als Essen zu kochen oder zu servieren, denn die Mahlzeiten stellten die zentralen Riten des Hauses dar, angefangen mit dem Morgentee um sechs, zu dem es Kekse gab. Frühstück … zweites Frühstück … Mittagessen … Nachmittagstee, kleine Häppchen zu den Drinks um sechs Uhr abends, den allseits bekannten
sundowners
, Abendessen. Die Mahlzeiten boten Anlass zu allerlei Belehrungen und Bekehrungen, denn in diesem Haushalt galt Gemüse als ungesund, wenn es nicht »gründlich« gekocht war, während man bei mir zu Hause fest nach dem Grundsatz lebte, dass nur leicht gedünstetes Gemüse bekömmlich war. Beide Lehrmeinungen wurden von Experten vertreten, als wären sie unumstößlich und für alle Zeiten gültig, nicht anders als heute, wenn neue Diäten propagiert werden: Darüber ließ sich weder streiten noch diskutieren.
Das Haus war in der landesüblichen Weise gebaut und bestand aus einer Vielzahl von Hütten, die durch Laubengänge miteinander verbunden, allerdings aus guten Ziegeln gemauert waren und im Unterschied zu unserem bereits verfallenden Haus ein stabiles Strohdach hatten. Auf den hochglanzgebohnerten Böden lagen Teppiche, die genauso kostbar waren wie unsere, und den überladenen Esstisch schmückte das gleiche schwere Tafelsilber. Zwei stattliche, Respekt einflößende Frauen nahmen mich in Empfang. Sie trugen Kleider, die ich einzuordnen wusste, denn es waren »englische« Sachen aus Tweed und Leinen- und Baumwollkleider eines bestimmten Schnittes, mit akkuraten Falten und Knöpfen. Bei ihnen wohnte ein attraktiver Mann mit auffallend guter Haltung, der bei der indischen Army gedient hatte, allerdings etwas mit meinem Vater gemein hatte: Er war ein guter Beobachter, er sah und registrierte alles. War er der Ehemann einer der beiden Frauen? Ein Bruder? Ich war bis dahin nie auf den Gedanken gekommen, mich so etwas zu fragen. Sie waren, wie ich später begriff, Lesbierinnen. Der Mann verhielt sich wie ein Gast in seinem Haus: Das fiel mir immerhin so deutlich auf, dass ich mich ihm verbunden fühlte. Mein eigentliches Interesse galt allerdings den Büchern. Es waren Tausende. Alle Hütten waren ringsum mit exakt eingebauten Bücherregalen ausgestattet, eine meisterhafte Tischlerarbeit, denn die Hütten waren rund. Die Wände sahen aus, als wären sie aus Büchern gebaut. Schon auf den ersten Blick verlor ich Kopf und Herz. Die Bücher zu Hause hatte ich satt, längst hatte ich alle mehrmals gelesen. Dickens und Kipling, Shaw, Wells, Wilde und all die anderen sowie die unzähligen, mit jeder Post mehr werdenden Bücher über den Ersten Weltkrieg. Diese Autoren waren hier ebenfalls allesamt vertreten, fielen aber neben den bunten Umschlägen mit den Namen von mir unbekannten Schriftstellern kaum auf. Die beiden Frauen sahen meinen Blick und nahmen mich bei der Hand. »Es gibt nur einen wirklich modernen Autor«, erklärten sie mir. »Ann Bridge. Verglichen mit ihr – ach, lass die anderen einfach beiseite, das ist unser Rat.« Auch die Wände meiner Hütte, der Gästehütte, waren rundum mit Büchern vollgestellt, aber ich musste die gesammelten Werke von Ann Bridge mitnehmen und versprechen, sie und nur sie zu lesen. Damals bemerkte ich nicht, wie kurios es eigentlich war, dass mir jemand in Marandellas, Südrhodesien, befahl, die Romane einer Dame zu lesen, die sich über die heiklen Beziehungen an der Botschaft in Peking verbreitete, vor allem über Liebschaften, zumeist unglückliche Affären, die mit gutem Geschmack durchlitten wurden. Indessen kam der Mann, der diesen Versuch der Indoktrination eines schutzlosen Geistes mit Miss- billigung beobachtet hatte, mit einem einzigen Buch in meine Hütte. Auch er gehorchte dem Bedürfnis, junge Menschen nach seinem Vorbild zu formen, womöglich die stärkste Kraft in unserem Streben nach Unsterblichkeit.
»Dies ist das einzig lesenswerte Buch, das seit dem Krieg geschrieben wurde«, verkündete er. »Du brauchst sonst nichts zu lesen, darauf gebe ich dir mein Wort.« Damit nickte er mir zu, schenkte mir ein steifes, aber
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