Unter der Haut (German Edition)
an das Ende der Veranda, eine Allianz weiblicher Empfindsamkeit, während er am anderen Ende saß, rauchte und dutzendweise Zeitschriften aus England las, größtenteils über landwirtschaftliche Themen. Wir bedachten ihn mit langen, trägen, bitter sarkastischen Blicken, kicherten und machten leise Bemerkungen über seine Grobheit. Wenn er von uns die Nase voll hatte und sich mit den Hunden in den Busch verzog, selbst an sehr heißen Tagen, begleitete seinen Abgang ein lauter Schwall von Klagen und Beschwerden.
Er muss froh gewesen sein, als ich abfuhr und der Ehekrieg wieder sein normales Niveau mit gleichgewichtigen Partnern erreichte. Ich konnte es kaum erwarten, meinen Eltern von ihren alten Freunden zu erzählen, von seiner Herzlosigkeit und ihren Leiden, von dem ganzen Unglück. Sie schwiegen zunächst und erklärten mir dann, dass Bob und Joan in all den Jahren ihrer Ehe gut zurechtgekommen seien und es wohl einfach in ihrem Wesen liege, so miteinander umzugehen.
Ich war im falschen Alter für solche Lebensweisheit. Zu jener Zeit ließ man sich nicht scheiden, und wenn doch, war es ein Skandal und eine Schande. Bob und Joan konnten sich nicht scheiden lassen, denn ihr geringes Einkommen reichte nur zum gemeinsamen Überleben. Dass es nötig sein konnte, seufzend zu ertragen, dass man unverstanden blieb, während der andere, ebenso Missverstandene, sich stolz zurückzog, war für mich ein unerträglicher Gedanke. Ich weinte heimlich heiße, zornige Tränen über Joans und Bobs Unglück, darüber, dass sich Cyril und Alice nicht vertrugen.
Es war die Erinnerung an die Tiere, die Vögel, den Busch, die ich in die neue Schule mitnahm, wie einen Schutz oder Schild. Nach – wie langer Zeit? Die Pause zwischen den Schulen war mir ewig lang vorgekommen, auch wenn ich bereits voll Staunen, voll Grauen und Angst auf die Endlosigkeit kindlicher Zeit zurückblickte. Wie hatte ich das überlebt? (Wie schaffen es die Kinder überhaupt?) Und schlimmer –
wie konnte ich verhindern, dass ich wieder in den Treibsand geriet?
Diese Furcht begleitete mich jahrelang. Ich blieb ein Jahr auf der Highschool für Mädchen, und es war wahrhaftig eine lange Zeit, vom Gefühl her war es eher wie: »War das
wirklich
bloß
ein
Jahr?«
Nach dem Kloster war die Highschool allerdings ein Schock, denn die Atmosphäre war sachlich und kühl. Die Religion, die im Kloster an jeder Wand, in jeder Ecke, auf den Fluren, im Rascheln der Nonnentrachten und im Gesang in der Kapelle gegenwärtig gewesen war, war hier auf einen Gottesdienst am Sonntag beschränkt, zu dem wir immer paarweise in langen Reihen am Straßenrand unter den Jakarandabäumen geführt wurden, halb tot vor Hitze in unseren marineblauen Sergekitteln, gestärkten weißen Blusen und weißen Panamahüten, diesmal mit blauen und grünen Bändern. Im Kloster hatte jede Mahlzeit mit einem langen lateinischen Tischgebet begonnen, und jeder neue Tagesabschnitt war mit einem Gebet eingeleitet worden.
Die Highschool für Mädchen nahm, wie die Klosterschule, externe und Internatsschülerinnen auf, aber sie schienen nicht so deutlich voneinander getrennt zu sein. Die Internatsschülerinnen wohnten in vier Häusern. Die meisten von ihnen stammten von Farmen oder aus kleinen Städten und waren mit sieben zum ersten Mal auf die Schule geschickt worden. Man sollte meinen, dass man den Schülerinnen sofort ihre weniger vornehme Herkunft hätte anmerken müssen: Schließlich hatten mich meine Eltern auf die Klosterschule geschickt, damit ich mit dem einfachen Volk in staatlichen Schulen nichts zu tun hatte. Jedoch weder damals noch rückblickend kann ich einen wesentlichen Unterschied entdecken. Auf beide Schulen gingen »höhere Töchter«. Auf beide gingen Mädchen, deren Eltern, gebeutelt von den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, flehend, bettelnd und weinend bei amtlichen Stellen vorgesprochen hatten, um zu erklären, dass ihre Töchter, wenn sie nicht vom Schulgeld befreit würden, überhaupt keine höhere Schule besuchen könnten. Es wurden zahlreiche Stipendien vergeben. Eines davon bekam ich.
In dem Haus, in dem ich wohnte, war eine Gruppe von Mädchen tonangebend, die als »ordinär« galten. Das wussten wir, weil die Hausmutter es uns ständig sagte. Sie war erst kürzlich aus der »Heimat« gekommen und wollte bald wieder dahin zurückkehren. Es seien gewöhnliche Mädchen, sagte sie, und wenn man bei uns zum Schulabschluss die Spreu vom Weizen trenne, würden die
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