Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)
Prado. „Es hatte über drei Jahre gedauert, bis die Ermittlungen soweit abgeschlossen waren, dass Anklage erhoben werden konnte.“
„Harte Zeiten damals“, brummte Leng, „die hoffentlich nie mehr wieder kommen. Obwohl - es gibt immer noch viel zu viele Länder, in denen Menschen Gesetze brechen müssen, um das eigene Leben zu sichern.”
Die beiden Männer hatten mittlerweile die Mittelallee erreicht, die wegen des zur Schau gestellten Reichtums in weiten Teilen der Bevölkerung Millionenallee genannt wurde. Alles, was Geld und Titel besaß, war hier vertreten. Es gab Säulen, die in den Himmel ragten, Engel aus Marmor und in Stein gemeißelte Lobeshymnen. Sie passierten das Grab des Volksschauspielers Willy Millowitsch, der hier vor über zehn Jahren in die Erde gelassen worden war. Direkt gegenüber befand sich die letzte Ruhestätte des Schriftstellers Heinz G. Konsalik, die durch ein schlichtes Holzkreuz aus dem Rahmen fiel. Vorher hatten sie schon über das unauffällige Grab des ehemaligen Oberstadtdirektors Kurt Rossa gestaunt.
Die Kommissare bewegten sich auf die nordwestlichen Ausläufer des Friedhofs zu und würden nur noch wenige Minuten bis zum Rechtsmedizinischen Institut der Uniklinik benötigen.
„Was denkst du? Hat Sand schon irgendwelche gesicherten Erkenntnisse?“ fragte Prado. „Warum sonst sollte er uns gebeten haben, vorbeizukommen?“
„Vielleicht will er uns seinen neuen Arbeitsplatz zeigen“, antwortete Leng grinsend.
„Neuer Arbeitsplatz?“
„Na ja, das alte Gebäude am Melatengürtel ist doch aufwändig saniert worden, um es heutigen Bedürfnissen anzupassen. DNA-Untersuchungen oder Abstammungsbegutachtungen gab es früher in der Form nicht. Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Er wird schon auf etwas gestoßen sein, was wichtig ist. Trotzdem dürfen wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht zuviel erwarten. Mit dem Innenleben des Toten hat er sich garantiert noch nicht beschäftigt, also wird er uns auch noch nichts über den Mageninhalt sagen oder toxiko-logische Ergebnisse präsentieren können. Das dauert Tage, manchmal sogar Wochen. Nur im Fernsehen ziehen die Rechtsmediziner oftmals schon am Tatort die richtigen Schlussfolgerungen. Die scheinen alle mit hellsichtigen Fähigkeiten ausgestattet zu sein.“
Die beiden Beamten hatten nun das Westtor des Friedhofs erreicht und verließen diesen in Richtung Melatengürtel. Sie waren erst wenige Schritte gegangen, da fuhr das neueste Modell eines Porsches 911 hupend an ihnen vorbei.
„Was war das denn?“ rief Prado und schaute dem roten Flitzer hinterher. „Welcher Idiot saß denn da hinter dem Steuer?“ Er konnte sich die Frage umgehend selbst beantworten, als er sah, dass der Wagen auf den Parkplatz der Rechtsmedizin einbog. „Sand? Sollte dieser Blödmann etwa Sand gewesen sein? Hat der etwa schon wieder ein neues Auto?“
„Keine Spur. Der ist mindestens schon ein Jahr alt. Du scheinst ihn privat nicht allzu häufig zu sehen.“
„Überhaupt nicht, um genau zu sein. Und darüber bin ich auch verdammt froh.“
„Warum so aufgebracht? Ist do ch ein ganz verträglicher Zeitgenosse, äußerst witzig, schlagfertig und auf seinem Gebiet einfach exzellent.“
„Mag ja alles sein, aber ich finde ihn einfach zu überheblich.“
Leng verzichtete darauf, Prado zu erklären, wie sein eigenes Verhalten manchmal auf andere wirkte. Er war einfach nicht in der Stimmung für ein Streitgespräch.“
„Und diese Karre, die er fährt. Nur um Aufmerksamkeit zu erregen.“
„Brauchen wir die nicht alle hin und wieder?“ fragte der Hauptkommissar vorsichtig.
„Was?“
„Na Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit ist eine Form der Zuwendung. Vielleicht liebt er aber auch nur schnelle Autos. Jeder pflegt eben ein anderes Hobby.“
„Pah“, konterte Prado, der die Einschätzung nicht zu teilen vermochte. Er hätte sicherlich noch weiter gelästert, brach aber mitten im Satz ab, weil Sand ihnen mit winkenden Armen entgegengelaufen kam.
„Perfektes Timing“, rief er ihnen zu und schüttelte beiden Männern die Hand.
Der Händedruck war fest, die Handteller trocken. Zwei Plus- punkte, wie Leng fand, zu denen sich noch eine Reihe anderer summierten. Sand war etwa 1,85 Meter groß, hatte eine wohl geformte Nase und ein Grübchen im Kinn. Er besaß volle, sinnliche Lippen, glattes, braunes Haar, das er sich nie wirklich kurz schneiden ließ, blaue Augen und darüber dichte Brauen mit einem fast perfekten Bogen. Seine Zähne waren
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