Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)
den für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen jüdischen Friedhof und den eigentlichen Melatenfriedhof.
Auf dem heutigen Gelände befand sich einst ein Campus leprosi , ein Leprosenheim, das erstmals 1180 dokumentiert wurde, aber schon früher existiert hatte. In Köln führte es den Namen Maladen , woraus sich die Friedhofsbezeichnung Melaten entwickelte. Es gab noch drei weitere Siechenhäuser außerhalb der Stadtmauern, eines südlich des Bayenturms in unmittelbarer Nähe des Rheins, ein anderes am Judenbüchel, dem jüdischen Friedhof in Raderberg und das dritte nahe dem Eigelsteintor.
Den Leprakranken war e s untersagt, die Anlagen zu verlassen. Ausnahmen bildeten die Feiertage, an denen sie in Begleitung eines Schellenknechtes in die Stadt gehen und um Almosen bitten durften. Die Patienten wurden allerdings ange-halten, eine auffällige Kleidung wie Kniehose, Siechenmantel, Joppe, großer Hut oder weiße Handschuhe als Erkennungszeichen zu tragen und sich auch akustisch mittels Klapper, Horn oder Schelle bemerkbar zu machen, um andere vorzuwarnen.
Auf kaiserliche Anordnung hin wurde in Köln in französischer Zeit im Jahre 1804 ein Dekret für die Begräbnisse erlassen, welches Beerdigungen innerhalb der mittelalterlichen Stadt untersagte. Der katholischen Kirche wurde damals das Beerdigungsrecht genommen und der Zivilgemeinde über antwortet.
Die beiden Männer passierten gerade eine der monu-mentalen, begehbaren Gruften, als sich auf Lengs Gesicht ein Grinsen breit machte.
„Was ist los?“ fragte Prado irritiert.
„Hast du jemals von der großen Siechenbande gehört, die vom 17. bis ins 19. Jahrhundert im Rheinland ihr Unwesen trieb?“
„Nie, aber was ist daran so amüsant?“
„Es war ein riesiger Familienclan, der überwiegend mit Raub seinen Lebensunterhalt bestritt, aber auch vor Mord nicht zurückschreckte.“
„Trotzdem weiß ich noch immer nicht…“
„Sei doch nicht so ungeduldig“, sagte der Hauptkommissar. „Ich will es dir ja gerade erklären.“ Seine Worte klangen schärfer, als er es beabsichtig hatte. „Die Mitglieder dieser Bande suchten und fan den Unterschlupf in den Siechenhäusern, indem sie sich als Leprose tarnten. Den erforderlichen Siechenbrief fälschten sie kurzerhand. Es gelang ihnen, die Krankheit recht professionell zu simulieren. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts verschwand die Seuche allmählich, sodass sich in den Siechenhäusern fast nur noch Bandenmitglieder aufhielten, die schließlich ihrer eigenen Überheblichkeit zum Opfer fielen. Sie hatten tatsächlich angenommen, niemand würde ihnen auf die Schliche kommen.“
„Interessante Geschichte. H ätte an der Polizeischule durchaus im Fach Kriminologie - Verbrechen im Rheinland, erwähnt werden können. Schließlich ist dort ja auch über Johann Mayer, dem Eifelschreck gesprochen worden. Schon mal was von dem gehört?“
„Hab ich“, bestätigte Leng. „Einer dieser tragischen Figuren, bei denen schon in der Kindheit alles schief lief und dessen ständiger Begleiter der Hunger war. Der erste Weltkrieg hat diese Situation noch verschärft. Alle Vorstrafen wie Diebstahl, Jagdvergehen, Sachbeschädigung oder Hausfriedensbruch lassen sich unmittelbar darauf zurückführen.“
„Der Mann war ein fünffacher Mörder“, sagte Prado laut und ließ es wie eine Zurechtweisung klingen. „Er hat die ganze Gegend um Adenau in Angst und Schrecken versetzt, obwohl diese Angst völlig unbegründet war, wie sich in Nachhinein herausgestellt hat, weil er ausschließlich Menschen umbrachte, die er kannte, darunter auch drei seiner Lieb-schaften.“
„Um Gottes Willen. Ich will ihn doch nicht verteidigen, aber heute würde bei der Ermittlung des Strafmaßes das soziale Umfeld mit berücksichtigt werden. Ich erinnere mich zwar nicht mehr an viele Details, aber der Vater von Johann Mayer starb, glaube ich, als der Junge 18 Monate alt war; die Mutter landete danach im Irrenhaus. Kein Wunder also, dass der Junge Verhaltensstörungen bekam. Der bestellte Vormund steckte ihn in eine Schusterlehre, die er aber nach zwei Wochen abbrach, weil es kaum etwas zu essen gab und er ständig Hunger hatte. Er arbeitete bei verschiednen Bauern, die ihm zwar zu essen gaben, aber keinen Lohn zahlten. Ein hartes Leben, das vollends zur Tragödie wurde, als er sich mit zwanzig versehentlich die linke Hand abschoss, was ihm den unrühmlichen Namen Stumpfarm einbrachte.“
1923 ist er dann in Köln enthauptet worden“, ergänzte
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