Unter die Haut: Ein romantischer SM-Roman (German Edition)
beleuchten und vernünftig lesen zu können, war sie fertig.
Juliette legte Buch und Lesebrille aus der Hand, rieb sich die Augen. Ein noch fernes, aber doch schon deutlich vernehmbares Donnergrollen riss sie aus den Gedanken, während ein erster heftiger Windstoß gefährlich an ihrer Markise zerrte, ein erster Blitz die Nacht kurz und grell erleuchtete.
Schleunigst kurbelte sie die Markise hoch, brachte ihren gemütlichen Liegestuhl mit den dicken Auflagen in Sicherheit, griff sich das Tablett von dem kleinen niedrigen Tisch, schleppte alles schnell ins Haus und schloss die Terrassentür.
Das Unwetter, das vor den Scheiben losbrach, hatte Ähnlichkeit mit Juliettes aufkommendem Kampf der Gefühle. Sie hatte Unglaubliches gelesen. Das aktuelle Bild, das Juliettes Kopf sich zum fremden Thema SM zusammengesetzt hatte, war ein Mosaik aus Susannas unseligen, erschreckenden Erfahrungen und den wenigen Informationen, die ihr bisher zugänglich gewesen waren. Puzzleteile von wüsten, unkenntlichen Kapuzenmännern, die gefesselte hilflose Frauen vergewaltigen, unnahbare Dominas, die überarbeitete, nackte, stiefelleckende Manager drangsalieren, düstere, muffige Keller, klirrende Ketten, teuflische Fratzen und unsägliches Leid, herausgeschrien aus aufgerissenen Kehlen gequälter, bis aufs Blut gepeitschter Frauen. Eine Collage, die einem Gemälde Hieronymus Boschs nicht unähnlich war.
Das Buch aber, das nun fertig gelesen auf ihrem Tisch lag, hatte Bilder von Liebe gezeichnet, von Rücksichtnahme, Achtung und Respekt. Dass zwischen diesen Faktoren und der Ausübung von Macht und Gewalt ganz offenbar ein Spagat möglich sein könnte, und zwar in völliger Übereinstimmung und zum Erreichen höchster Lust beider Partner, hatte Juliette überrascht.
Sie wünschte sich, reden zu können, sich mitteilen zu können, den Widerstreit des Hin und Hergerissenseins zwischen Faszination und Ablehnung in geordnete Bahnen lenken zu können.
Juliette ließ sich nicht mehr von Gefühlen überrollen, war es schon lange gewohnt, wissenschaftlich zu denken, analytisch, geradlinig. Ein Blick auf die Uhr, bereits zwei Stunden nach Mitternacht, verbot ihr jeden weiteren Gedanken daran, Susanna anzurufen.
Ein Glas Rotwein in der Hand, hatte sie am Fenster gestanden und sah die großen, knorrigen Eichen im Garten sich beugen, kleine Äste zu Boden segeln, größere krachend brechen, sah, wie geschmeidig dagegen die Birke sich in fast tänzerischer Anmut vom Sturm peitschen ließ. Sie schien kein einziges Blatt zu verlieren. Das Gewitter zog langsam gen Osten ab, noch immer hing die Schwüle des Tages im Haus.
Juliette würde lüften müssen, vielleicht nicht nur das Haus!
Sie öffnete weit die großen Türen zur Terrasse, ließ ihren weißen Kimono von den Schultern gleiten.
Nackt trat sie hinaus in den schweren Regen, in den heftigen Wind, die paar Steinstufen hinunter, die sich glatt anfühlten unter den Füßen, in den Garten.
Matschige Erde quoll zwischen ihren Zehen hervor, als sie den Rasen erreichte, auf die Birke zuging.
Sie hatte sich bäuchlings an den glatten, nassen Stamm gelehnt, streckte die Arme daran empor. Die Wucht des Sturmes in dem lebendigen Baum fühlend, spürte sie den Bewegungen nach, ließ sich treiben, hielt sich.
Und bekam Halt!
Es regnete Sturzbäche, das Wasser lief ihr das Gesicht, den Körper hinunter, rann von den Spitzen der langen Haare hinab ihre Körpermitte entlang, ein wenig Blut dort mitnehmend, und bildete eine größer werdende Pfütze um ihre Füße.
Später wusste sie nicht mehr, wie lange sie dort gestanden hatte, den Gewalten schutzlos und doch freiwillig ausgesetzt, irgendwann zitternd vor Kälte und Nässe, nur ein paar Schritte entfernt vom sicheren Haus. Sie wird sich nur immer erinnern, sich schon seit Urzeiten nicht mehr so lebendig ge fühlt zu haben, so eins mit sich und ihrer Umgebung.
Als der Sturm sich langsam legte, der Regen seicht wurde, hatte sie den Stamm des Baumes losgelassen, mit einem Lächeln, einem sachten Streicheln der weißen Rinde.
„ Komm r ein“, begrü ßte Juliette am folgenden Abend Susanna.
Schon früh morgens hatte sie die Freundin um ein Treffen gebeten. Susanna war sich durchaus darüber im Klaren gewesen, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis Juliette ein klärendes Gespräch bräuchte.
„ Du siehst mich einigermaßen verwirrt, meine Lie be“, beg ann Juliette mit einem etwas schiefen, verlegenen Lächeln. „Du weißt, ich
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