Unter die Haut: Roman (German Edition)
sicherzugehen, dass ich das richtig verstanden habe«, sagte Ivy, um einen möglichst neutralen Ton bemüht. »Sie hören eine Stimme, die Sie dazu drängt, die Dinge zu tun, die Sie tun. Aber indem Sie mit mir reden -«
»Oder auch nur an Sie denke -«
»- oder auch nur an mich denken«, wiederholte sie, »können Sie die Stimme zum Schweigen bringen?«
»Vielleicht nicht zum Schweigen bringen, aber sie ist dann nicht mehr so laut, ja.«
»Also … wollen Sie damit sagen, dass Sie das, wozu die Stimme Sie auffordert, nicht tun möchten? Suchen Sie Hilfe, damit das aufhört?«
»Seien Sie nicht albern«, sagte er mit kalter Verachtung, die sie bis ins Mark traf. »Mir geht nur dieses ständige Genörgel auf die Nerven. Schließlich kann ich nicht das Geringste tun, um ihre Forderungen zu erfüllen, bevor wieder Vollmond ist. Warum soll ich mir das also dauernd anhören?«
Sie hätte ihm gern noch mehr Fragen gestellt, wäre gern darauf eingegangen, was es damit auf sich hatte, dass er immer nur bei Vollmond aktiv wurde, aber als ob in seinem Kopf ein unhörbarer Wecker geklingelt hätte, sagte er plötzlich: »Tja, ich muss jetzt los.«
»Nein, Hart, warten Sie! Erzählen Sie mir -«
»Ein anderes Mal«, flüsterte er. Dann war die Leitung tot.
»Verdammter Mist«, stieß sie hervor, als sie langsam den Hörer auflegte.
»Dieser Hurensohn«, brüllte Vincent. Er schleuderte das einzige noch nicht angeschlossene Kabel zur Seite und erhob sich. Dann packte er sie bei den Schultern und sah sie prüfend an. »Alles in Ordnung?«
Sie nickte und ließ ihren Kopf an seine Schulter sinken. Vincent nahm sie in die Arme und drückte sie an sich. Er rieb sein Kinn an ihrer Schläfe »Es tut mir Leid, Ivy«, sagte er anklagend gegen sich selbst gerichtet. »Es tut mir Leid. Ich hätte die verdammte Rufumleitung nicht ausschalten sollen.«
»Nein«, widersprach sie ihm. »Es ist nicht deine Schuld. Die Leitung musste frei sein für den Fall, dass sie dich brauchen, und wir wissen beide, wie Hart reagiert hätte, wenn du rangegangen wärst.« Sie legte den Kopf in den Nacken und sah ihm in die Augen. »Außerdem, findest du nicht, dass das schon ein sehr merkwürdiger Zufall ist, Vincent? Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass er mich ausgerechnet dann erwischt, wenn ich nicht in deiner Wohnung bin?« Es kam ihr beinahe so vor, als würde sie durch ein Guckloch auf Schritt und Tritt beobachtet, eine Vorstellung, die ihr eine Gänsehaut verursachte.
»Normalerweise würde ich sagen, sehr gering.« Vincent zog mit seinen rauen Fingern eine ihre Augenbrauen nach, strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht, fuhr über die zarten Einbuchtungen unter ihren Wangenknochen. »Aber letztes Mal hat er auch an einem Samstag angerufen, oder? Sieht so aus, als hätten wir einfach Pech gehabt.«
Ein leises Geräusch zog seine Aufmerksamkeit auf sich, und zum ersten Mal, seit Ivy den Hörer aufgelegt hatte, löste er seinen Blick von ihr. Als er über ihre Schulter blickte, sah er zu seiner Überraschung die Augen ihrer Cousinen auf sich gerichtet.
Er hatte völlig vergessen, dass er nicht allein mit Ivy war. Keith stand im Flur und musterte angelegentlich die Farbe an der Wand, aber die beiden Frauen standen kaum zwei Meter von ihm entfernt und starrten ihn und Ivy verblüfft an. Vincent stieß langsam die Luft aus, zum einen ärgerte er sich über die Situation – die so rasch seiner Kontrolle zu entgleiten schien -, zum anderen, und weitaus mehr, ärgerte er sich über sich selbst. Was war er doch für ein Idiot. Ivy hatte ihm von Anfang an klar zu machen versucht, dass es ein Ding der Unmöglichkeit war, ihre Familie über ihre Beziehung im Dunkeln zu lassen, aber hatte er etwa auf sie gehört? Oh nein. Er hatte sich schlichtweg geweigert, ihren Worten Glauben zu schenken. So schwer konnte es doch nicht sein, ein kleines Geheimnis zu bewahren, hatte er gedacht.
Was nur von seiner Ahnungslosigkeit zeugte, während sie ganz genau gewusst hatte, wovon sie sprach. Erst ihre Tante und ihr Onkel, dann ihr Cousin Terry und jetzt das. Und die Art und Weise, wie ihn die Cousine, die offenbar jeder für eine atemberaubende Schönheit hielt, ansah, führte dazu, dass sich ihm sämtliche Nackenhaare aufstellten. Sie sah ihn an, als sei er etwas, das sie sich von der Schuhsohle kratzen müsste.
Ivy spürte seine plötzliche Anspannung. Offensichtlich dämmerte ihm gerade, dass sie aufgeflogen waren. Wenigstens konnte er nicht
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