Unter die Haut: Roman (German Edition)
Vergewaltigers. In letzter Zeit schien ständig jemand etwas von ihr zu wollen, und keiner war mit dem zufrieden, was sie geben konnte. Ihre Familie war enttäuscht von ihr, und der Himmel mochte wissen, was Vincents unerklärlicher Stimmungsumschwung zu bedeuten hatte. Die Fahrt zum Revier hatten sie in eisigem Schweigen zurückgelegt. Warum war er plötzlich so verärgert?
Dr. O’Gally sah sie fragend an, und sie machte eine entschuldigende Geste. »Tut mir Leid«, sagte sie und erklärte, worauf sich ihre Bemerkung bezog. »Was hat ihn Ihrer Meinung nach dazu veranlasst, sich auf mich zu konzentrieren?«
»Das ist schwer zu sagen, ohne mit ihm geredet zu haben oder den Fall besser zu kennen«, erwiderte Dr. O’Gally. »Es könnte verschiedene Gründe geben. Sie könnten ihn an jemanden erinnern, der gut zu ihm war. Er könnte eine Schwäche für große rothaarige Frauen haben -«
»Bis jetzt sind alle seine Opfer klein und dunkelhaarig gewesen«, warf Vincent ein.
»Dann hat er vielleicht eine Schwäche für Ärztinnen, Detective. Oder Dr. Pennington war einfach zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort und ist ihm aufgefallen. Darüber ließe sich den ganzen Tag spekulieren, aber ohne irgendwelche Hintergrundinformationen bleibt das alles eben auch nur reine Spekulation.« Sie hielt kurz inne und sah zuerst Ivy und dann Vincent eindringlich an. Als sie weitersprach, hielt sie seinen Blick fest. »Der entscheidende Punkt ist meiner Meinung nach, dass es sich tatsächlich um Wahnvorstellungen handelt. Sie lassen zu viele Symptome eines klassischen wahnhaften Verhaltens erkennen, als dass er sie vortäuschen könnte.«
Vincent stieß einen Fluch aus, und auf Dr. O’Gallys Gesicht erschien ein schwaches Lächeln. »Ich weiß, dass Sie manchmal vielleicht einen anderen Eindruck haben, D’Ambruzzi, aber ich kann Ihre Enttäuschung nachvollziehen«, sagte sie. »Es ist erstaunlich, was in der Psychiatrie erreicht werden kann. Aber es ist keine exakte Wissenschaft, um es mal vorsichtig auszudrücken, und es gibt viel zu viele Fälle, aus denen wir nicht schlau werden.« Sie klopfte mit dem Bleistift auf die Schreibunterlage. »Ich fürchte, das Einzige, was ich Ihnen mit annähernder Sicherheit sagen kann, ist das, was Sie vermutlich sowieso schon wissen.«
Vincent nickte, und Ivys Blick wanderte zwischen ihm und der Psychologin hin und her. »Und das wäre …?«, fragte sie.
»Zum Beispiel, dass Hart als Kind oder Heranwachsender höchstwahrscheinlich selbst irgendwann sexuell missbraucht wurde«, antwortete Vincent anstelle von Dr. O’Gally. »Es ist außerdem wahrscheinlich, dass diese Frau klein und dunkelhaarig war – deshalb sucht er sich immer Opfer aus, die ihr in dieser Hinsicht ähnlich sind.«
»Frauen begehen auch sexuellen Missbrauch?«
»Häufiger, als man denkt«, erwiderte Vincent in kaltem, nüchternem Ton. Dr. O’Gally nickte bestätigend.
Aus irgendeinem Grund fand Ivy das noch abstoßender als die gängige Vorstellung von Männern als Sexualverbrecher. Sie sah Frauen vermutlich wie die meisten anderen Menschen vor allem in der Rolle der Fürsorgenden.
»Der einzige Trost, den ich Ihnen bieten kann«, sagte Dr. O’Gally, »ist der, dass Hart Sie offenbar sehr bewundert, Dr. Pennington. Sie sind ganz anders als seine sonstigen Opfer, deshalb ist es unwahrscheinlich, dass er Ihnen etwas zuleide tun will.« Sie zögerte einen Augenblick und fuhr dann fort: »Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist, dass wir nicht wissen, wie oft er von seinen Wahnvorstellungen überfallen wird. Ich muss Sie warnen, dass sein Sinn für die Realität immer mehr nachlassen könnte. Aber auch das ist natürlich nur eine Vermutung. Es wäre allerdings möglich, dass Sie unwissentlich etwas tun, das er als Betrug auffasst. Wenn das der Fall sein sollte, könnte er Sie ohne Vorwarnung angreifen.«
»Toll. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr mich das beruhigt.« Die Beine von Ivys Stuhl quietschen laut über den Linoleumboden, als sie abrupt aufstand. Sie drehte sich so, dass die anderen ihr Gesicht nicht sehen konnten, und starrte mit leerem Blick aus dem schon länger nicht mehr geputzten Fenster, das auf eine trostlose Seitenstraße hinausführte, während sie versuchte, ihre Gedanken zu sammeln.
In den letzten Tagen stürmte ununterbrochen etwas auf sie ein. Allmählich hatte sie das Gefühl, oben und unten nicht mehr unterscheiden zu können. Schließlich drehte sie sich wieder um
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