Unter die Haut: Roman (German Edition)
existenzialistischen Ausspruch so wortgetreu, wie sie konnte. »Hast du schon jemals einen derartigen Schwachsinn gehört? Klingt nach Grundkurs Philosophie, findest du nicht?«
»Was soll dieses Gerede von der Stimme, die er hört?«, fragte Keith. Sie erzählte es ihm, und als sie geendet hatte, wechselten die beiden Männer einen bedeutungsvollen Blick.
»Was ist?«, fragte Ivy und sah von einem zum anderen. »Jetzt sagt schon!«
»Das gefällt mir nicht«, erklärte Vincent schließlich.
»Mir auch nicht«, stimmte Keith zu. »Der Kerl könnte tatsächlich unter Wahnvorstellungen leiden, oder er hat sich schon eine Verteidigungsstrategie zurechtgelegt.«
Ivy hielt Keiths letzte Bemerkung zuerst für den Versuch, einen Witz zu machen, aber sein Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, dass dem nicht so war. »Nein Keith, bestimmt nicht«, widersprach sie, als ihr klar wurde, dass er es völlig ernst gemeint hatte. »Er wirkt viel zu kaltblütig und gerissen auf mich, als dass er jemals damit rechnen würde, erwischt zu werden.«
»Kaltblütig und gerissen«, wiederholte Vincent. »Das trifft es wohl ziemlich genau.« Zum ersten Mal, seit er sie vor dem Aufzug so seltsam angesehen hatte, suchten seine dunklen Augen ihren Blick und hielten ihn fest. Erfüllt von einem Zorn, den Ivy sich nicht erklären konnte, sagte er: »Vielleicht hört er noch andere Stimmen, von denen er dir bis jetzt nichts mitgeteilt hat. Und ich muss dir ganz offen sagen«, fügte er finster hinzu, »dass mir bei der Vorstellung, er könnte dich als seine einzige Rettung betrachten, Himmelangst wird.« Er rückte dicht an sie heran. »Aber ich sage dir noch was«, presste er zwischen den Zähnen hervor. »Er hat trotzdem ganz genau gewusst, und zwar auf die Sekunde genau, wann er auflegen muss, damit der Anruf nicht zurückverfolgt werden kann. Also auch wenn er verrückt ist, Baby, ist er noch lange nicht dumm.«
Vincents unerwartete Wortwahl ließ sie beide zusammenzucken. Einen Augenblick lang sagte keiner ein Wort. Ivys riss die Augen auf, Vincent kniff sie zusammen. Verdammt noch mal, das hatte er gar nicht sagen wollen. Es war ein Versehen … Es war ihm einfach so herausgerutscht … Er wollte nicht …
»Vince, vielleicht wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, um mit Doc O’Gally über die Sache zu reden«, schlug Keith vor.
Vincent sah an Ivy vorbei seinen Freund und Kollegen an, während Ivy Keith fragte, wer Doc O’Gally sei. »Die Psychologin in unserer Abteilung«, antwortete Vincent, bevor Keith es tun konnte, und brachte sie auf diese Weise dazu, sich erneut ihm zuzuwenden. Mit einem Seufzer ließ er sich in die Polster sinken. Wieder einmal hatte er vergessen, dass sie nicht allein waren. Das musste aufhören.
»Gute Idee«, sagte er zu Keith. Er erhob sich, streckte Ivy seine Hand entgegen, um ihr beim Aufstehen zu helfen, und sagte merkwürdig förmlich: »Hol bitte deine Tasche. Wir machen einen kleinen Besuch beim Seelenklempner. Vielleicht ist O’Gally ja in der Lage, uns einen Hinweis darauf zu geben, mit was für einer Art Mensch wir es hier zu tun haben.
»Nur weil er vorsichtig ist, Detective, heißt das nicht unbedingt, dass Ihr Vergewaltiger nicht tatsächlich unter Wahnvorstellungen leidet«, erklärte Margaret O’Gally, die Polizeipsychologin.
Das war nicht gerade das, was Vincent hatte hören wollen. Irgendwie hatte er sich vorgestellt, mit einem planmä ßig vorgehenden Perversen ließe sich leichter fertig werden als mit einem, der geisteskrank war.
»Die meisten Vergewaltiger besitzen die Fähigkeit, die Wahrheit zu verdrehen«, fuhr sie fort. »Sie halten ihrem Opfer ein Messer an den Hals und sind voll und ganz davon überzeugt, dass der Frau das gefällt.« Sie tippte auf die Notizen, die sie sich während Vincents Bericht gemacht hatte. »Aber in diesem Fall scheint das noch auf etwas anderes hinzudeuten. Aufgrund der Informationen, die Sie mir gegeben haben, halte ich es für wahrscheinlich, dass Ihr Vergewaltiger schon mal mit der Polizei zu tun hatte, so dass er jetzt mit äußerster Vorsicht vorgeht. So wie es aussieht, ist er bisher nicht das geringste Risiko eingegangen, bis Dr. Pennington seine Aufmerksamkeit erregt hat.« Sie wandte sich Ivy zu. »Sie haben in diesem Mann irgendeine Saite zum Klingen gebracht.«
»Ich existiere, also ist er«, sagte Ivy müde. Sie fühlte sich plötzlich restlos erschöpft, und das lag nicht nur an den beunruhigenden Anrufen des
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