Unter die Haut: Roman (German Edition)
lassen. Trotzdem umklammerte die Frau Vincents Handgelenk.
»Noch mal, und nicht ganz so lasch, Nummer sechs!«
Der Verdächtige wiederholte es.
»Oh Gott«, wisperte sie. Ihre Nägel gruben sich in Vincents Haut. »Lassen Sie ihn sagen: Bist wohl frigide, meine Süße?«
Die Aufforderung wurde weitergegeben, und Nummer sechs wiederholte den Satz.
»Das ist er«, wisperte sie.
»Sind Sie sicher?«
»Ja, ganz sicher. Das ist der Mann. Diese Stimme vergesse ich mein Lebtag nicht.«
»Okay, es ist gut«, sagte Vincent beruhigend.
Sobald er wieder an seinem Schreibtisch saß, machte er sich an den Papierkram. Er füllte den Antrag für eine offizielle Anklage aus und faxte ihn an die Staatsanwaltschaft. Der Häftling hatte dann einen Anspruch darauf, dass innerhalb von sechzig Tagen sein Prozess begann. Dieses Recht wurde jedoch häufig nicht in Anspruch genommen, da die Verteidiger in vielen Fällen eine Verlegung des Termins beantragten, um sich besser auf den Prozess vorbereiten zu können. Aber das ging Vincent nichts mehr an. Sobald er das Fax losgeschickt hatte, konnte er die Akte schließen und sich dem nächsten Fall zuwenden.
Kurz vor eins kam er im Krankenhaus an und wurde in Bess Polsens Zimmer geführt mit der ausdrücklichen Anweisung, sie nicht aufzuregen. In Anbetracht der Umstände, die Bess hierher gebracht hatten, und der Notwendigkeit, ihr unangenehme Fragen zu stellen, hoffte er nur, dass er diese Anweisung befolgen konnte.
Er war einfühlsam, und sie war kooperativ, den bereits bekannten Fakten konnte sie jedoch nur wenig Neues hinzufügen. Vincent fing mit dem schwersten Teil an, der darin bestand, sie die Ereignisse der vergangenen Nacht noch einmal durchleben zu lassen. Er bat sie, ihm so genau wie möglich zu berichten, was der Vergewaltiger gesagt und getan hatte, und wie sie darauf reagiert hatte.
Anschließend bat er sie um eine Beschreibung des Täters. Ihr Angreifer war weiß, männlich, etwa eins achtzig groß, aber sein Gesicht war die ganze Zeit von einer Skimaske aus dunkler Wolle verdeckt gewesen. Sie hatte keine auffälligen Narben oder Tätowierungen bemerkt. Seine Stimme hatte drohend geklungen, aber sie konnte die Tonlage nicht beschreiben. Irgendwie normal, sagte sie. Woran sie sich am deutlichsten erinnerte, war sein Messer, das beschrieb sie in allen Einzelheiten. Leider klang es für Vincent nur nach einem gewöhnlichen Jagdmesser ohne irgendwelche besonderen Merkmale.
»Was ist mit seinen Augen, Bess?«
Ohne nachzudenken erwiderte sie: »Wütend. Hasserfüllt … blau.«
»Gut. Hellblau, dunkelblau?«
»Ein blasses Blau«, sagte sie zögernd. »Wie ausgewaschen. Und seine Wimpern waren ziemlich hell und dünn. Es sah fast so aus, als hätte er gar keine.« Sie wirkte überrascht, als würde sie sich fragen, wie ihr das auf einmal eingefallen war.
»Sie machen das sehr gut«, sagte Vincent. »Was ist mit seiner Haut? Hatte er einen dunklen Teint, so wie ich?«
Sie betrachtete ihn und schüttelte dann den Kopf. »Nein. Viel heller. Nicht gerade blass, aber auch nicht der Typ, der schnell braun wird.«
Vincent blickte von seinem Notizbuch auf. »Wie kommen Sie darauf?«
»Ich weiß nicht.« Sie sah verwirrt aus. »Vielleicht weil ich die ganze Zeit auf die Hand mit dem Messer gestarrt habe«, sagte sie. Ein Zittern durchlief ihren Körper. »Er … er hat mich immer wieder mit der Klinge berührt, und ich hatte solche Angst, dass er …« Sie verstummte, und Vincent sagte ihr, sie solle ein paarmal tief durchatmen und sich Zeit lassen. Schließlich fuhr sie fort: »Seine Hand, genauer gesagt sein Handgelenk – er trug Handschuhe. Es war … Die Haut war irgendwie gerötet und schuppig, so als würde sie sich schälen. Meine Mutter hat das immer als Spülhände bezeichnet.«
Ihr war mehr aufgefallen, als sie beide zunächst gedacht hatten. »Wie groß war seine Hand? Waren die Finger schmal, kräftig? Kurz, lang?« Vincent hielt seine Hand in die Höhe und spreizte seine langen Finger. »Sah sie meiner ähnlich?«
»So groß war sie sicher nicht.« Bess musterte seine Hand und räumte schließlich ein, dass sie sich nicht genau daran erinnern konnte, trotzdem bemühte sie sich, Größe und Form so gut wie möglich zu beschreiben.
Er versuchte noch eine Weile, ihrem Unterbewusstsein weitere Einzelheiten zu entlocken, dann nannte er ihr verschiedene Einrichtungen, bei denen sie Hilfe finden konnte, um den Überfall zu verarbeiten. Er legte ihr ans Herz, sich
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