Unter die Haut: Roman (German Edition)
an eine davon zu wenden, bevor er sich verabschiedete. Er fuhr mit dem Aufzug ins Sexual Assault Center, wo er die in dieser Woche gesammelten Spermaproben abholte. Danach fuhr er zurück nach Downtown.
Als er nach einem Telefonat, das länger als gedacht gedauert hatte, endlich seinen Schreibtisch aufräumte, war er müde und nicht in der Stimmung, für sich selbst zu kochen. Deshalb hielt er auf dem Heimweg bei einem chinesischen Restaurant, um sich eine Portion Schweinefleisch Mu Shu und süß-saure Suppe mitzunehmen. Kurze Zeit später betrat er seine Wohnung und wollte nichts weiter als essen, vielleicht noch eine Weile fernsehen oder lesen und dann ins Bett und den fehlenden Schlaf nachholen.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Polizeidezernaten gab es in der Special Assault Unit feste Arbeitszeiten: von acht bis vier, montags bis freitags. Es war zwar die Ausnahme, dass er pünktlich um vier Uhr ging, aber die Zeiten waren nicht im Entferntesten so verrückt wie auf Streife oder bei der Sitte. Die Detectives in seiner Abteilung wechselten sich mit dem Bereitschaftsdienst während der Nacht und an den Wochenenden untereinander ab, aber bei zwei Teams, die sich diesen Dienst teilten, kam es selten vor, dass man mehr als einmal alle paar Monate gerufen wurde. Es war reiner Zufall gewesen, dass er vergangenen Monat dreimal nachts gerufen worden war. Genau genommen war er nur zweimal gerufen worden, einmal in einer Nacht, in der er selbst Bereitschaft gehabt hatte, und einmal, als er für einen Kollegen eingesprungen war. Die letzte Nacht zählte eigentlich nicht, er war von sich aus ins Krankenhaus gefahren, weil er gehofft hatte, ein paar Informationen von Bess Polsen zu bekommen. Aber wie auch immer, zwei der nächtlichen Einsätze hatten in dieser letzten Woche stattgefunden, und er war einfach fertig.
Trotzdem schlief er nicht so schnell ein, wie er gedacht hatte. Ärgerlicherweise musste er immer wieder daran denken, dass Ivy sich auf der anderen Seite der Wand befand. Ständig huschte ihr Bild an ihm vorbei, das Bild von ihnen beiden.
Verdammt noch mal! Vincent ballte die Fäuste, während er ruhelos durch seine Wohnung tigerte. Du weißt doch noch nicht mal, ob sie überhaupt zu Hause ist. Vermutlich arbeitet sie.
Und wenn nicht?
Egal. Du hast deinen Spaß gehabt, aber jetzt ist es vorbei. Schlag sie dir aus dem Kopf, verdammt noch mal.
Es dauerte sehr, sehr lange, bis er endlich einschlief.
Vincent war nicht der Einzige, der an Ivy dachte. Einige Kilometer entfernt zermarterte sich ein Mann das Hirn, womit er ihr eine Freude bereiten könnte.
Nach allem, was sie für ihn getan hatte, verdiente sie das. Er war ein Mann, der sonst stets unverrückbar an seinem ersten Eindruck von einer Frau festhielt, aber jetzt ertappte er sich dabei, dass er sich Argumente einfallen ließ, die ihre Größe und ihre Haarfarbe entschuldigten, ja sogar die Autorität, die sie ausstrahlte. Hatte sie diesen dämlichen Cop etwa nicht in die Schranken gewiesen, und war es nicht ein Vergnügen gewesen, ihr dabei zuzusehen? Außerdem war sie eine Heilerin – ein wahrer Engel in einem Beruf, den er bewunderte. Aber am wichtigsten war, dass sie die zerstörerische Wut vertrieben hatte, die ihn erneut zu überwältigen drohte, als die kleine Bess in Ohnmacht fiel, nur wenige Augenblicke nachdem er es endlich geschafft hatte, sie loszuwerden. Zumindest dafür schuldete er ihr etwas. Etwas ganz Besonderes.
Es kostete so viel Anstrengung, normal zu funktionieren, wenn diese Wut in ihm tobte wie ein wildes Tier. Wenn sie ihn erst einmal gepackt hatte, war er ihr völlig ausgeliefert, er konnte dann an nichts anderes mehr denken, er war dann angespannt und nahm mit beinahe unerträglicher Schärfe alles auf, was um ihn herum vorging. Sie war ein Dämon, der jeden Monat für ein paar Tage Besitz von seinem Körper ergriff und sich immer stärker bemerkbar machte. Eine Stimme, kalt und gebieterisch, die ihm befahl, sofort zu handeln.
Dieser Dämon war die Quelle seiner Macht, seine größte Stärke. Er war aber auch sein schlimmster Feind.
Aus leidvoller Erfahrung wusste er, dass er sich nicht einfach besänftigen ließ. Der Jäger in ihm gewährte ihm Allmacht, aber er forderte dafür seinen Preis. Er ließ ihn warten, bis Vollmond war, um sich seinen Feind vorzunehmen.
So wie Vollmond gewesen war, als sie sich ihn vorgenommen hatte.
Klein und dunkelhaarig war sie gewesen und so zierlich, dass man meinte, sie könnte
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