Unter die Haut: Roman (German Edition)
dich tun, Vincent?«, fragte sie. Suse’ Stimme klang erstaunlich freundlich, wenn man bedachte, dass sie, wie praktisch jeder bei Special Assaults D’Am bruzzis schlechte Laune am eigenen Leib zu spüren bekommen hatte.
Aber andererseits glaubte Suse, seine jüngsten Wutausbrüche zu verstehen. Ohne es direkt auszusprechen, hatte Keith durchblicken lassen, dass Vincents ungewohnt schlechte Laune etwas mit der beeindruckenden rothaarigen Ärztin zu tun hatte, die letzte Woche hier aufgetaucht war. Das hätte Suse nicht im Geringsten überrascht. Was sie dagegen wirklich erstaunlich fand, war, dass D’Am bruzzi nicht schon längst unter den Belastungen seines selbst auferlegten Zölibats zusammengebrochen war.
»Ich wollte dich um einen Gefallen bitten, Suse.« Vincent bemühte sich, seine Stimme nicht ganz so kraftlos klingen zu lassen und einen freundlichen Ton beizubehalten, während er sein Anliegen vorbrachte.
Früher hatte er sich immer darüber amüsiert, wenn er im Fernsehen und im Kino gesehen hatte, wie hartgesottene Polizisten einem Verdächtigen so lange zusetzten, bis er ein Geständnis ablegte. In Verhören – vor allem bei einem Sexualstraftäter – erwies sich in Wirklichkeit Einschüchterung selten als das Wundermittel, als das Hollywood es unverdrossen darstellte.
Im wirklichen Leben bestand der Trick in den meisten Fällen darin, auf den Verdächtigen einzugehen und ihn dazu zu bringen, Vertrauen zu dem Polizisten zu entwickeln, der ihn verhörte. Suse McGill konnte das besonders gut. Sie hatte ein Talent dafür, das Selbstgefühl eines Verdächtigen zu stärken, so dass er bereit war, ein Geständnis abzulegen, und dazu war ihre Fähigkeit, seine Tat herunterzuspielen, das wichtigste Mittel. Indem sie es so klingen ließ, als hätte es noch viel schlimmer sein können, als es tatsächlich gewesen war, gab sie ihm die nötige Kraft, um zu gestehen.
Sie war jung, hübsch, freundlich und rücksichtsvoll … und entsprach damit in keiner Weise den Erwartungen der meisten Sexualstraftäter. Sie wirkte auf sie von Anfang an weniger bedrohlich als die meisten ihrer männlichen Kollegen, und deshalb fassten sie schneller Vertrauen zu ihr. Außerdem war es ihr wirklich ein Anliegen herausfinden, was sie zu ihren Handlungen veranlasst hatte, und dieses Interesse war spürbar.
Alle Mitarbeiter der Abteilung hatten die gleiche Spezialausbildung durchlaufen – sie alle wussten, dass die meisten Sexualstraftäter irgendwann in ihrem Leben selbst sexuell missbraucht worden waren. Viele der Detectives – darunter auch Vincent – arbeiteten jedoch bereits zu lange hier, um mit einem Vergewaltiger wegen eines früher erlittenen Leids noch viel Mitgefühl zu verspüren. Vincent war zu oft mit den schrecklichen Folgen konfrontiert worden und hatte zu viele Opfer gesehen, deren Leben dadurch zerstört worden war.
Er reichte Suse seinen Bericht und einen Stapel Aufzeichnungen, die sie auf dem Weg zu der rosa gestrichenen Zelle überflog. Dort angekommen, blieb sie stehen, um die letzten paar Zeilen zu lesen, und sah dann Vincent an. »Ist er über seine Rechte informiert?«
»Ja. Er hat sie verstanden und verzichtet auf einen Anwalt. Ebne ihm einen Weg, Suse, mal sehen, was du damit erreichst.« Er blickte sie einen Moment zögernd an und spielte mit dem Kleingeld in seiner Jeanstasche. Dann sagte er mit einem Anflug von Verlegenheit: »Ich weiß deine Hilfe zu schätzen.«
Sie tätschelte ihm den Arm. »Keine Ursache.« Nachdem sie einen Blick in die Zelle geworfen hatte, sah sie ihn kopfschüttelnd an. »Ich bin jedes Mal aufs Neue erstaunt, wie klein und jämmerlich sie beim Verhör aussehen. Mein Gott, Vince, wenn sie ihre Verbrechen begehen, muss das Gefühl von Macht sie irgendwie wachsen lassen. Momentan macht er jedenfalls den Eindruck, als könnte meine sechsjährige Nichte mit links mit ihm fertig werden.«
Vincent begleitete sie in die Arrestzelle und stellte sie dem Verdächtigen vor. »Dan, das ist Detective McGill. Sie wird Ihnen dabei helfen, eine Aussage zu machen.« Er nahm auf einem Stuhl hinter dem Mann Platz. Suse hatte sich damit einverstanden erklärt, dass er zuhörte, solange er den Verdächtigen nicht ablenkte oder so nervös machte, dass dadurch das Verhör beeinträchtigt wurde.
Sie hielt die Aufmerksamkeit des Vergewaltigers auf sich gelenkt, indem sie freundlich mit ihm sprach, ihn aufforderte, hier eine Stelle in dem Bericht näher zu erläutern, dort eine Einzelheit zu
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