Unter die Haut: Roman (German Edition)
Sie endlich kennen zu lernen. Vor allem aber ist es fast so, als hätten wir den alten Vince wieder. Ich habe ihn immer sehr gern gemocht, aber in den letzten Jahren hatte er sich verändert. Und nicht zum Besseren.«
Ivy nickte verständnisvoll. »Ich durfte schon einige Kostproben seiner schlechten Laune genießen.« Sie griff nach einem Salatkopf und begann die Blätter abzureißen, um sie auf einen Beilagenteller zu legen.
»Oh nein, das habe ich gar nicht gemeint.« Anna schüttelte den Kopf. »Ich habe seit Jahren keinen Wutausbruch mehr bei ihm erlebt«, erklärte sie mit einem bedauernden Unterton, den Ivy, die mehr als einmal die Zielscheibe seines Zorns gewesen war, nicht ganz nachvollziehen konnte. Anna musste ihre Verwunderung bemerkt haben, da sie versuchte, es ihr zu erklären. »Sehen Sie, genau das ist das Problem. Seit diese Frau sein Leben ruiniert hat, ist er immer so … beherrscht gewesen.«
Sie legte Hamburger-Brötchen auf ein Backblech, schob sie in den Ofen, dann richtete sie sich wieder auf und sah Ivy an. »Vincent war schon immer zurückhaltend, aber sein italienisches Erbe konnte er trotzdem nie völlig verleugnen. Wenn er gut drauf war, steckte er mit seinem Lachen alle an, wenn er sauer war, brüllte er wie ein verwundeter Stier und machte seinem Ärger laut Luft. Und seine Witze …?« Sie lächelte bei der Erinnerung. »Mein Gott, er konnte so komisch sein.« Ihr Lächeln schwand, und sie fuhr fort: »Aber in den vergangenen drei Jahren war er so – ach, ich weiß nicht -, als schleppte er ständig Schmerzen mit sich herum. Er zog sich zurück und ließ nichts mehr an sich heran. Wenn ich ihn jetzt mit Ihnen sehe, ist das dagegen wie -«
Ivy sollte nie erfahren, wie es war, da ihre Unterhaltung durch die Frauen einiger Polizisten unterbrochen wurde, die in die Küche kamen, um bei der Vorbereitung des Essens zu helfen. Sie bauten das Büffet auf dem Tisch im Esszimmer auf, und kaum dass sie alle Schüsseln darauf verteilt hatten, brachte Keith einen Teller mit einem Berg gegrillter Hamburger herein. Alle drängten sich um den Tisch, um sich die Teller voll zu laden.
Als Ivy anschließend dicht gedrängt mit den anderen draußen an dem großen Gartentisch saß, lauschte sie den Gesprächen um sie herum nur mit halbem Ohr, weil sie dauernd daran denken musste, was Anna ihr über Vincent erzählt hatte. Sie spürte seinen festen warmen Oberschenkel, der sich gegen ihren presste. War sie zu stur, wenn sie darauf bestand, dass es zwischen ihnen keinen Sex mehr geben konnte? Vielleicht …
»Sind Sie wirklich Ärztin?«
Sie brauchte einen Moment, um zu merken, dass sie mit der Frage gemeint war. Während sie ihre Aufmerksamkeit der jungen Ehefrau eines Streifenpolizisten zuwandte, die ihr gegenübersaß, wischte sie sich im Geiste den Schweiß von der Stirn. Puh. Das waren gefährliche Überlegungen. »Ja«, erwiderte sie. »Ich arbeite in der chirurgischen Nothilfe.«
»Wow«, stieß die junge Frau hervor und sah Ivy über den Tisch hinweg bewundernd an. »Das ist toll. Ich mache nichts«, gestand sie verlegen. »Na ja, ich kümmere mich um das Haus und um das Baby, klar, aber …«
»Wenn Sie mich fragen«, unterbrach Ivy sie freundlich, »würde ich sagen, dass die Erziehung eines Kindes wahrscheinlich der wichtigste Job ist, den es gibt. Vincent und ich haben erst neulich darüber gesprochen – nicht wahr, Vincent?«
»Ja.« Er lächelte die junge Frau an. »Ivy musste einen kleinen Jungen verarzten, der von seinem Vater misshandelt worden war, und das ist ihr sehr nahe gegangen. Das war einer der Gründe, warum ich sie heute hierher eingeladen habe, ich fand, sie brauchte ein bisschen Ablenkung.«
»Das, was Eltern tun, ist so bedeutend«, fuhr Ivy mit Nachdruck fort. »In ihren Händen liegt es, was einmal aus dem Leben eines Menschen wird. Haben Sie einen Jungen oder ein Mädchen?«
»Ein Mädchen. Hilary. Sie ist dreizehn Monate alt.« Die junge Frau lächelte voll Stolz und Liebe. »Wollen Sie ein Foto von ihr sehen?«
»Oh ja, sehr gern«, sagte Ivy mit einem warmen Lächeln.
Nach dem Essen verzogen Vincent und die anderen Männer sich auf den Rasen. Er hatte die Beine lang ausgestreckt und die Füße übereinander gelegt und stützte sich mit einem Arm auf. Hin und wieder nahm er einen Schluck aus der Bierflasche, die er in der Hand hielt, und gelegentlich warf er eine Bemerkung in die Unterhaltung ein, um zu zeigen, dass er den verschiedenen Gesprächen folgte.
Weitere Kostenlose Bücher