Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen
überschüttete, das an ihm herabrann und nicht zu halten war; er wusste es nicht. Doch er traf nur auf die Enttäuschung, dass nichts außerhalb der Mauern wundervoll und ehrerbietend zu begehen war. Die Welt Londons zeigte sich verhüllt unter dickem Nebel, welcher Geräusche schluckte und eine eigenartige Wärme ausspie. Fast wähnte sich Firm in einem Fiebertraum, derart unwirklich erschien es ihm. Er richtete sich am Türrahmen des Hauses auf und schaute hinaus. Mit einem Male mutete es ihm nicht länger wie die lang ersehnte Freiheit an. Er war schwach und hilflos, und es gab niemanden, der ihn dort draußen freudig erwartet oder ihm Hilfe gespendet hätte.
Zwar kannte Firm viele Verstecke in London, doch nicht eines war ihm eine sichere Zuflucht. Sie alle bargen die eine oder andere Gefahr, der er zumindest im Augenblick nichts entgegenzusetzen hatte. Sein einziger Schlupfwinkel war von jeher dieses grauenvolle Haus gewesen. Er schaute sich um und die schmutzige Front hinauf, deren Giebel im matten Grau des Nebels verschwand.
Als es ihm schauerte, senkte er den Blick wieder in die Straße, in der kein Leben zu sein schien. Firm wurde bewusst, dass er in seinem jetzigen Zustand keine Chance hatte, sich auf die Suche nach den Kindern zu machen oder für sich einen Platz zu finden, an dem er genesen konnte, wo er Trinken und Essen fand.
Er seufzte die Last seiner Aussichten von der Seele, wandte sich um und ging wieder in sein Heim zurück, wie jemand, der einen gern gesehenen Gast schweren Herzens verabschiedet hatte und liebend gerne mitgegangen wäre. Er schloss die Tür hinter sich und entschied in diesem Moment, hierzubleiben und den Kindern der Straßen Londons ein neues Obdach zu geben – ein weit besseres als unter der Obhut der knurrenden Maggie und ein besseres auch für einen, wie Little Shepherd es gewesen war. Und selbst, wenn der Geist des Mörders noch in diesem Gemäuer weilte, so würde ihn Firms Vorhaben davon überzeugen, dass seinem Sinnen damit Genüge getan sei.
Ein Teil seines Vorhabens war ohne Zweifel wie geschaffen gewesen, ihn zu beruhigen und sich selbst Mut zu machen. Einige der anstehenden Erfordernisse erwiesen sich nämlich als weitaus größere Hinderung, als zunächst zu vermuten gewesen wäre. Zwar fand er unter den bescheidenen Vorräten von Margarete Graft noch einiges, das zum Verzehr geeignet war, doch etwas Trinkbares war zunächst nicht zu entdecken. Das Wasser im Stückfass war trübe und faul.
Erst nach einigem Suchen fand Firminus unter dem Dach eine kleine Regentonne. Die Flüssigkeit darin war dunkel von der dreckigen Luft über London, doch Firm entschied, dass es nach dem Kochen gut genug sein müsse, wenn er die erste Hälfte zum Trinken nutzte und die zweite Hälfte verwarf.
Das größte Hemmnis aber, wie man sich leicht vorstellen konnte, war die abscheuliche Anwesenheit des Leichnams. Nachdem Firm etwas getrunken und gegessen hatte, machte er sich daran, die Tote loszuschneiden. Als sie mit einem dumpfen Klatschen auf dem Boden landete und einiges Gewürm von ihr abfiel, hatte Firm Mühe, die Füllung seines Magens bei sich zu behalten.
Es graute ihm davor, was nun mit dem Leichnam geschehen sollte, denn es war nicht leicht, eine Sterbliche Hülle fortzuschaffen oder zu vernichten, wenn man noch dazu kaum genug Kraft besaß, um sich dauerhaft auf den Beinen zu halten. Weder war er imstande, sich Hilfe zu holen, noch allein die vielen Pfunde zu schleppen.
Firminus brachte einige Stunden damit zu, vor dem Leichnam zu sitzen, die Maden pfleglich zusammenzukehren und zu überlegen, was nun zu tun sei. Doch es gab nur eine Möglichkeit.
Nur einen, grauenhaften Weg.
Er würde die Leiche zerstückeln müssen, um sie ihn Einzelteilen fortschaffen zu können. Etwas derart Schreckliches hatte er noch nie zuvor getan, und er glaubte auch fest daran, es nicht zu überstehen. Dennoch machte er sich auf die Suche nach einem geeigneten Werkzeug und fand es in einer alten Axt, deren Blatt zwar schartig, aber nicht minder scharf war.
Firm war müde, und die scheue Helle draußen verriet ihm, dass ein neuer Tag begann. Er führte sich vor Augen, dass er sich nicht erlauben konnte, seiner Schwäche nachzugeben, denn es mochte jederzeit jemand an der Türe um Einlass bitten, der Margarete Graft gut kannte. Zwar brauchte er nicht zu öffnen, und über kurz oder lang musste er eh eine Ausrede über den Verbleib der Heimmutter vorweisen können. Doch wenn er an all das
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