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Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen

Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen

Titel: Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alisha Bionda
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dachte, ward ihm schwindelig und nach Weinen zumute. Seine Nerven waren derart fahrig, dass er zitterte und kaum einen klaren Gedanken im Geiste zu halten imstande war. Ein wenig Zuversicht ging noch von dem Gedenken aus, welch entsetzliche Ereignisse er bereits überstanden.
    Als aber der erste Axthieb auf die Schulter der Toten mit einem furchtbaren Knirschen des Knochens endete, schien auch die letzte Hoffnung dahin. Firm schluckte wider seine Übelkeit an und atmete tief, um den Schwindel zu bannen. Er arbeitete aus einem angsterfüllten Antrieb heraus, wiewohl er sich sicher war, dass all dies vergebens sein würde, und hörte erst auf, als er wirklich alle Teile des Leichnams in irgendwelche Töpfe, Wannen und Fässer des Hauses untergebracht hatte. Er bedeckte sie mit Deckeln oder stellte die kleineren aufeinander. Das letzte füllte er in Ermangelung einer Abdeckung mit dem faulen Trinkwasser, und als das Fleisch ihn schier zur Verzweiflung brachte, weil es auftrieb, beschwerte er es schließlich am Ende seiner Kräfte und seiner Nerven mit einem Stein aus dem Hof.
    Firm mochte nicht daran denken, wie viele Stunden tatsächlich vergangen waren. Er war derart müde, dass er glaubte, wenn er nun Schlaf fände, wäre er bis an das Ende seiner Tage zu schlummern imstande. Jedoch war er noch immer nicht fertig – der Boden des Wohnraums war mit Knochensplittern, geronnenem Blut und sonstigen stinkenden Klebrigkeiten besudelt. Er sah am eigenen Leib nicht besser aus. Also begann er mit dem letzten Wasser, welches ihm verblieben war, zu wischen und die Spuren seines grauenhaften Werks, so weit es ging, zu beseitigen. Mittlerweile hatte er den Eindruck, derart langsam in jeder Bewegung zu sein, dass er glaubte, Tage zögen ins Land, ehe er es vollbracht.
    Als er den Schrubber und das Leinen schließlich in den Eimer mit dem Schmutzwasser warf und sich den von Feuchtigkeit dunklen und von den Axthieben geschädigten Boden besah, schlief er für Momente nur im Sitzen ein.
    Doch jäh riss es ihn aus dem Schlaf. Es klopfte an der Tür.
    Eindringlich und ungeduldig.
    Firm konnte erst gar nicht begreifen, dass etwas geschah, das er im Grunde geahnt hatte. Ihm wurde mit jedem Klopfen mehr klar, dass er nicht in dem Zustand war, die Tür zu öffnen – gleich, wer Einlass begehrte. Er schaute aus wie ein Schlachter oder Mörder. Aber er war kein Mörder. Gehetzt blickte er umher. Wenn sie jetzt einfach hereinplatzten? Was mochte man mit ihm anstellen, wenn man ihn mit seinem jetzigen Aussehen vorfände? Er hatte keinen Mord begangen, sagte er sich. Es klopfte dennoch unbarmherzig an der Tür.
    »Moment!«, wollte er rufen, doch es klang derart brüchig und leise, dass niemand es gehört haben konnte. Darauf bedacht, keinen Laut zu verursachen, stand er auf und ging unter das Dach, auch wenn er nicht wusste, was er dort wollte. Daselbst blieb er, gehockt in eine Ecke und darauf wartend, dass man ihn suchte, fand und verhaftete. Und dabei blieb es. Niemand verschaffte sich gewaltsam Einlass in das Haus, niemand fand den gehetzten Firminus Becket auf oder entdeckte gar die schrecklichen Spuren vergangener Taten.
    * * *
    Der kleine Firm hielt sich für eine ganze Weile noch versteckt. Er litt unter grausamen Ängsten wie unter Durst und Hunger, doch nichts vermochte ihn zu veranlassen, die Dachkammer in den ersten Tagen zu verlassen. Seinen Durst linderte er leidlich mit den grauen Tautropfen, die sich auf den Schindeln und der Dachluke fanden. Gegen den Hunger half zunächst die innere Überzeugung, er müsse nichts zu sich nehmen.
    Gegen die Angst aber half nichts.
    Er kauerte oft nur in einer Ecke, starrte in eine andere und wähnte seinen Kopf leer. Manchmal weinte er und konnte nicht wieder aufhören, war aber zumindest geistesgegenwärtig genug, seine Tränen zu trinken.
    Wenn er schlief, war es zugleich ein Wachen, denn der Schlaf brachte ihm keine Ruhe. Entweder träumte er arg, oder sein Bewusstsein schien aufmerksam auf mögliche Geräusche und Stimmen zu achten, auf der Oberfläche seiner Sinne tanzend wie ein Korken auf dem Wasser.
    Die Zeit aber veränderte es. Der Hunger war nicht länger abzutun, und als sich eines Morgens ein blauer Himmel über London wie eine weite Kuppel spannte, da huschte ein stilles Lächeln über Firms Gesicht. Er hatte das Gefühl, alles könne sich zum Guten wenden und all das Grauen sei ausgestanden. Er entschloss sich, seinen Plan, dieses Haus zu einem guten Hort für die Kinder der

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