Unter feindlicher Flagge
schritt eilig nach vorn. »Wenn Sie dann fertig sind, Mr Archer, müssen wir uns um das Kanonendeck kümmern. Dort liegen noch viele Männer, die meisten werden nicht mehr leben.«
Der grimmig dreinblickende Zweite Leutnant schaute kurz auf. »Aye, Mr Hayden.«
»Wo ist unser Schiffszimmermann?«
»Im Laderaum, Kapitän«, meldete Stock.
»Sie habe ich gesucht, Mr Stock. Springen Sie zur Dragoon und fragen Sie, ob es dort Lecks gibt.«
Der junge Bursche rannte los.
Von der Gangway aus blickte Hayden hinab auf das obere Kanonendeck in der Kuhl und sah, dass Chettle aus dem Niedergang kam. »Wie sieht es aus, Mr Chettle? Sinken wir oder schwimmen wir noch?«
»Wir schwimmen, Sir, zumindest fürs Erste. Furchtbar viele Schäden, Mr Hayden. Geborstene Planken, gesplitterte Deckknie, gesprungene Spanten und dergleichen. Aber trotzdem dringt nicht zu viel Wasser ein.«
»Haben Sie schon einen Überblick über die Dragoon?«
Der Mann sah blinzelnd zu ihm herauf. »Ich schaue mir das gleich an, Sir.«
»Mr Stock ist schon unterwegs und prüft, ob Wasser eindringt, aber ich möchte Ihre Einschätzung hören.«
Chettle salutierte und bahnte sich mit seinen Gehilfen den Weg durch das zerstörte Kanonendeck zum anderen Schiff. Derweil begab sich Hayden auf das Kanonendeck, um den Schaden selbst zu begutachten, konnte sich bei all den Toten dort aber kaum konzentrieren. Die beiden Schiffe hatten aus extrem kurzer Distanz aufeinander gefeuert, sodass die Schäden beträchtlich waren. Viele der Stückpforten waren zerschmettert, die Geschütze dahinter aus ihren Brooktauen und Zugleinen gerissen, doch Hayden hatte noch mit Schlimmerem gerechnet. Mit etwas Geduld konnte man das Schiff wieder abdichten. Zumindest notdürftig, um die Fahrt zurück nach England bestreiten zu können.
Wickham kam von der Gangway in die Kuhl und schaute sich stumm um.
»Wo ist Mr Franks, Wickham? Oben?«
»Man hat ihn zum Doktor gebracht, Mr Hayden.«
»Ist er schwer verletzt?«
»Ich weiß es nicht, Sir. Habe es eben erst von Holbek gehört.«
»Dann müssen wir vorerst Ersatz für Mr Franks finden.«
Hayden teilte die Besatzung ein. Landry, Barthe und Archer wurden auf die Themis beordert, während sich Hayden mit Franks' Maaten, einer Hand voll Vollmatrosen und einer etwas größeren Zahl Leichtmatrosen auf der Dragoon an die Arbeit machte. Man entfernte die Enterhaken, damit die Schiffe nicht weiter aneinanderstießen und die Rümpfe ausgebessert werden konnten. Da es zu wenig erfahrene Matrosen gab und die Sonne schon im Westen unterging, konnte Hayden nicht mit der Arbeit zufrieden sein, aber sie mussten im Schutz der Dunkelheit fort, ehe noch andere französische Schiffe auftauchten. Hayden war sich nämlich nicht sicher, ob sein Bluff mit dem Gelbfieber ein zweites Mal überzeugen würde.
Die See, die fast ruhig war, wurde nun leicht von einem Südwestwind aufgewühlt. Kalte Luft erfasste die Männer, als sich am westlichen Horizont graue Schlieren über den blauen Himmel zogen.
Hayden trug einem Schiffsjungen auf, Wickham zu holen, der Augenblicke später erschien. Seine zu große Uniform war ihm in der Eile fast hinderlich.
»Sturm zieht auf, Mr Wickham. So sagt es auch das Wetterglas. Rufen Sie die Kanoniere zusammen und sagen Sie ihnen, dass die Geschütze festgezurrt und gesichert werden müssen. Alle Kanonen abdecken. Uns bleibt gerade noch Zeit, die Bramsegel zu bergen, aber die Rahen müssen herunter. Kreuzsegelrah absenken. Taljen und Brassen verstärken, backbord die unteren Rahen brassen.« Hayden unterbrach sich und ging im Geiste die Liste der wichtigen Maßnahmen durch.
»Boote einholen, Sir?«, schlug Wickham vor.
»Auch das, ja. Und an dem Rack dort an der Großmarsrah hat kein Vollmatrose gearbeitet. Sorgen Sie dafür, dass es gut geschmiert ist, da wir keine Zeit haben, es zu erneuern.«
»Wir haben nicht genug Zeit, um alle Reparaturen vor dem Sturm durchzuführen, Sir.«
»Ich fürchte, Sie haben recht.« Hayden dachte einen Moment lang nach. »Gehen Sie mit ein paar Seesoldaten hinunter zu den französischen Gefangenen, Mr Wickham. Fragen Sie, ob deren Zimmermann und Bootsmann samt Gehilfen noch am Leben sind. Unter Hawthornes Aufsicht werden wir sie freilassen. Ein erfahrener französischer Matrose wird uns jetzt mehr nützen als die Seesoldaten, die wir ohnehin zur Bewachung brauchen. Ich würde ja nach und nach die Gefangenen abwechselnd an Deck lassen, da sie frische Luft brauchen, aber diese
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