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Unter Freunden

Unter Freunden

Titel: Unter Freunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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Wachstuchdecke, als wollte er ihm oder dem Tisch oder denTassen darauf nicht wehtun. Er tastete sich zur Tür. Als er sich im Gehen noch einmal umwandte, sah er seine Tochter dastehen, sie schaute ihm traurig nach, die Arme um ihre Schultern geschlungen, und er sah seinen guten Freund, der mit übereinandergeschlagenen Beinen dasaß, mit seinem sorgfältig gestutzten Schnauzbart, in dem sich schon graue Haare zeigten, seine kräftigen Hände umschlossen die Tasse, und auf seinem Gesicht zeigte sich eine Mischung aus Mitleid, Nachsicht und Ironie. Nachum stieß seinen Kopf nach vorn, als wollte er die Tür damit aufstoßen. Er schlug die Tür nicht hinter sich zu, sondern schloss sie ganz sachte, als fürchtete er, ihr oder dem Türrahmen wehzutun, er setzte die Schirmmütze auf und zog sie fast bis über die Augen, klappte den Mantelkragen hoch und ging den regennassen Weg hinunter, Richtung Kiefernhain. Seine Brillengläser waren sofort wieder nass vom Regen. Er schloss den obersten Mantelknopf und presste seinen linken Arm gegen seine Brust, als drückte er noch immer das Buch unter seinem Mantel ans Herz. Mittlerweile war es dunkel geworden.

V ater

M osche Jaschar, ein sechzehnjähriger Junge, dünn, groß, traurig und bebrillt, wandte sich in der Zehnuhrpause an den Lehrer David Dagan und bat um die Erlaubnis, nach dem Unterricht und der Arbeit wegfahren zu dürfen, um seinen Vater zu besuchen. Er habe vor, bei Verwandten in Or Jehuda zu übernachten und am nächsten Morgen früh um halb fünf mit dem ersten Autobus in den Kibbuz zurückzukommen, noch vor Unterrichtsbeginn.
    David Dagan legte die Hand auf die Schulter des Jungen und sagte in herzlichem Ton: »Diese Fahrten zu deinen Verwandten entfernen dich von uns. Du bist doch schon fast einer von uns.«
    Mosche sagte: »Er ist mein Vater.«
    David Dagan dachte kurz nach, nickte zweimal, als stimmte er sich selbst zu, und fragte: »Sag, hast du schon schwimmen gelernt?«
    Der Junge antwortete, den Blick zu seinen Sandalen gesenkt, er könne schon etwas schwimmen.
    Der Lehrer sagte: »Und hör auf, dir die Haare so kurzschneiden zu lassen. Mit diesen Stoppeln auf dem Kopf siehst du aus wie ein Flüchtling. Es wird Zeit, dass du dir eine Haartolle wachsen lässt wie alle anderen Jungen.«
    Nach einem kurzen Zögern fügte er freundlich hinzu: »Gut. Fahr. Unter der Bedingung, dass du morgen vor der ersten Unterrichtsstunde wieder da bist. Und vergiss dort nicht, dass du schon einer von uns bist.«
    Mosche Jaschar besuchte als Externer die Kibbuzschule und wohnte auch bei uns im Schülerwohnheim. Eine Sozialarbeiterin hatte ihn zu uns gebracht. Seine Mutter war gestorben, als er sieben war, sein Vater war krank, und sein Onkel Sami in Givat Olga hatte sich bereit erklärt, für Mosche und seine Brüder zu sorgen. Nach einigen Jahren, als auch der Onkel erkrankte, entschied das Ministerium für Soziales, die Kinder auf ein paar Kibbuzschulen zu verteilen. Mosche kam zum Schuljahresbeginn in den Kibbuz Jikhat, sein weißes Hemd ohne Taschen war zugeknöpft bis obenhin, und ein schwarzes Barett bedeckte seinen Kopf. Er lernte schnell, wie wir anderen herumzulaufen, barfuß, in kurzen Hosen und mit einem Trägerhemd. Wir nahmen ihn in den Kunstkreis und in den Diskussionskreis zu aktuellen Problemen auf, und weil er groß und wendig war, fand er auch seinen Weg zum Basketballplatz.Trotzdem blieb etwas Fremdes an ihm. Wenn wir nachts Streifzüge zum Vorratsmagazin unternahmen und uns mit Proviant für ein üppiges nächtliches Picknick versorgten, schloss er sich uns nie an. Wenn wir alle nach dem Unterricht und der Arbeit loszogen, um die Abendstunden bei unseren Eltern zu verbringen, blieb Mosche allein im Zimmer und vertiefte sich in die Hausaufgaben, oder er saß in einer Ecke des Clubraums und las mit herabgerutschter Brille die Zeitung, Seite für Seite, einen Artikel nach dem anderen. Und wenn wir nachts auf dem Rasen herumlungerten und im Sternenlicht Lieder voller Sehnsucht sangen, war er der Einzige, der nicht den Kopf auf den Schoß eines der Mädchen legte. Anfangs nannten wir ihn Fremdling und verspotteten ihn wegen seiner Schüchternheit, aber schon ein paar Wochen nach seiner Ankunft hörten wir auf, ihn wegen seiner Fremdartigkeit aufzuziehen, denn er war auf eine in sich ruhende Art anders. Wenn ihn jemand beleidigte, schaute Mosche Jaschar demjenigen direkt in die Augen, und manchmal stellte er mit ruhiger Stimme fest: »Du beleidigst mich.« Aber

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