Unter Freunden
Weg fiel ihm ein, dass Zvi es nicht mochte, wenn man ihn berührte. Deshalb lächelte er ihn nur an und sagte voller Zuneigung: »Wenn du zufällig einmal eine gute Nachricht hörst, Zvi, nur ein einziges Mal eine gute, dann komm sofort zu mir, und wenn es mitten in der Nacht ist, und gib mir Bescheid.«
Joav hängte sich die Waffe über die Schulter und machte sich auf den Weg. Als er an dem Springbrunnen mit den Goldfischen vorbeikam, den Zvi Provisor vor dem Speisesaal gebaut hatte, dachte er, dass es für einen alternden, einsamen Junggesellen hier bei uns schwerer war als an anderen Orten, weil es im Kibbuz kein geeignetes Mittel gegen Einsamkeit gab. Und schlimmer als das: Von der Grundidee her verneinte unsere Gesellschaftsform die Einsamkeit.
Beim Durchqueren der Siedlung der Alteingesessenen machte er da und dort eine Außenlampe aus, die überflüssigerweise brannte, und auch einen Rasensprenger, den jemand vor dem Schlafengehen vergessen hatte abzustellen. Neben dem Friseurschuppen hob er einen leeren Sack hoch, den jemand dort hingeworfen hatte, faltete ihn sorgfältig zusammen und legte ihn vor das Getreidesilo.
In manchen Fenstern war noch Licht. Bald würde der ganze Kibbuz in Schlaf versinken, nur er und die Nachtwache im Kinderhaus würden wach bleiben. Ein kalter Wind wehte, und die Nadeln der Kiefern antworteten ihm mit einem leisen Flüstern. Ein dumpfes Muhen kam vom Kuhstall herüber. Die Häuser der Alteingesessenen reihten sich aneinander, in jedem Haus vier Wohnungen, in jeder Wohnung zwei kleine Zimmer, und in jedem Zimmer Möbel aus Sperrholz, Blumentöpfe, Matten und Baumwollvorhänge. Um eins musste er zum Brutstall gehen und das Thermometer kontrollieren, und um halb vier musste er die Melker für die Frühschicht wecken. Die Nacht würde schnell vorbeigehen.
Joav liebte diese Nächte des Wachdienstes sehr, in denen er den Arbeitsalltag hinter sich lassen konnte, seine Tage voller Ausschusssitzungen, Beschwerden und Forderungen der Kibbuzmitglieder. Es kam vor, dass Menschen, die viel älter waren als er, ihm ihr Herz ausschütteten, dazu kamen allerlei heikle Probleme des sozialen Lebens, die diskrete Lösungen verlangten, Budgetfragen, die Kontakte zu Außenstellen und die Vertretung des Kibbuz innerhalb der Kibbuzbewegung. Nun aber, in der Nacht, konnte er allein zwischen den Schuppen und den Ställen herumstreifen, er konnte langsam an demim gelben Licht der Laternen liegenden Zaun entlanggehen, er konnte sich kurz auf eine umgedrehte Kiste vor der Schlosserei setzen und in Nachtgedanken versinken. Seine Nachtgedanken galten seiner Frau Dana, die jetzt im dunklen Zimmer im Bett lag und mit geschlossenen Augen Radio hörte, um leichter einzuschlafen. Er dachte auch an seine Zwillinge, die jetzt im Kinderhaus in ihren Betten lagen und schliefen. In einer Stunde würde er dort vorbeigehen und die Jungen zudecken. Vielleicht würde er auch zu Hause vorbeigehen und das Radio ausmachen, was Dana bestimmt vor dem Einschlafen vergessen haben würde. Dana mochte das Kibbuzleben nicht, sie träumte von einem Leben, in dem Privatheit möglich war. Oft versuchte sie ihn dazu zu bewegen, den Kibbuz zu verlassen und ein anderes Leben anzufangen. Aber Joav war ein Mann mit Prinzipien, er setzte sich immer dafür ein, das Leben im Kibbuz zu verbessern, und wollte nichts davon hören, ihn zu verlassen. Trotzdem musste er insgeheim zugeben, dass die Lebensform des Kibbuz Frauen gegenüber grundsätzlich ungerecht war und sie fast ausnahmslos zu Tätigkeiten im Dienstleistungsbereich wie Kochen, Putzen, Kinderbetreuung, Waschen, Nähen und Bügeln zwang. Die Frauen waren bei uns angeblich vollkommen gleichgestellt, aber dieseGleichstellung wurde ihnen nur unter der Bedingung gewährt, dass sie sich den Männern anglichen, dass sie sich wie Männer gaben: Sie durften sich nicht schminken und mussten auch sonst alles vermeiden, was als weiblich galt. Joav dachte oft über diese Ungerechtigkeit nach, doch sosehr er das Problem auch drehte und wendete, er fand keine Lösung. Vielleicht fühlte er sich deshalb Dana gegenüber immer schuldig und lebte neben ihr wie einer, der sich rechtfertigen musste.
Die Nacht war sehr kalt und dunkel. Das Quaken der Frösche riss Löcher in die Stille, und in der Ferne bellte ein Hund. Joav hob den Blick und betrachtete die dichte Wolkendecke am Himmel, und er sagte sich, dass alles, was man für wichtig hält, gar nicht wirklich wichtig ist und dass er nicht genug
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