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Unter Freunden

Unter Freunden

Titel: Unter Freunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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die den Ton angaben, um Nina bemüht. Selbst jetzt, da ihr Gesicht von Bitterkeit und Erschöpfung gezeichnet war und ihr Körper etwas von seiner Vollkommenheit verloren hatte, war sie noch eine anziehende Frau. Wir hatten uns alle gewundert, dass sie ausgerechnet Avner Sirota geheiratet und ihm sogar zwei Söhne geboren hatte. Avner war ein lautstarker, streitsüchtiger Bursche, sein kurzrasierter runder Kopf ruhte schwer und fast halslos auf den Schultern, und seine Arme waren die eines Boxers. Vor Nina hatte er ein wenig Angst, als wüsste sie von einem Geheimnis, das ihn in arge Verlegenheit bringen könnte. Trotzdem machte er zuweilen hinter ihrem Rücken auf seine grobe, witzelnde Art jungen Mädchen aus dem Schülerwohnheim Avancen. Seinen beiden kleinen Söhnen gegenüber zeigte er eine brummige Zuneigung, an Sommerabenden ermunterte er sie, sich mit ihm aufdem Rasen herumzubalgen. Ständig diskutierte er mit seiner heiseren Stimme über Politik und verspottete die Regierung, die seiner Meinung nach nichts anderes war als eine Versammlung schwächlicher Diasporajuden. Würde man ihm und seinen Fallschirmjägerkameraden nur einen Monat lang freie Hand geben, sagte er immer, würde man ihm nur einen Monat Zeit geben, um die Araber so zu behandeln, wie sie es verdienten, hätten wir hier längst Ruhe und Frieden. Oft genug stand er mitten im Speisesaal oder auf einem der Wege, rauchte und diskutierte, und Nina stand wartend daneben, mit gesenktem Kopf, und hörte zu, bis sie genug hatte, dann legte sie ihm die Hand auf den Rücken und unterbrach ihn mit ihrer leisen, entschlossenen Stimme: »Avner, ich glaube, es reicht für heute. Komm, wir gehen.«
    Avner gehorchte ihr dann sofort, unterbrach seine Predigt und folgte ihr. Roni Schindlin nannte sie die kleine Zigeunerin, die mit einem einzigen Kommando den Bär tanzen lässt.
    Joav fragte: »Wird Avner dich nicht suchen?«
    »Er hat schon geschlafen, als ich mich angezogen habe und weggegangen bin.«
    »Und wenn er aufwacht und dich nicht neben sich liegen sieht?«
    »Er wird nicht aufwachen. Er wacht nachts nie auf.«
    »Und wenn er morgen früh aufsteht? Hast du ihm eine Nachricht hinterlassen?«
    »Ich habe ihm nichts zu sagen. Wenn er morgen früh aufwacht, wird er glauben, dass ich früher zur Arbeit gegangen bin, ohne ihn zu wecken. Wir sprechen nur wenig miteinander.«
    »Und dann? Was wird dann sein?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Es wird Gerede geben. Die Leute werden reden, der ganze Kibbuz wird reden.«
    »Sollen sie reden.«
    Joav empfand plötzlich das Verlangen, den schmalen Körper in dem leichten Mantel fest an sich zu drücken oder seinen Mantel aufzuknöpfen und sie darunter zu ziehen oder ihr zumindest über die Wange zu streichen. So stark war dieses Verlangen, dass seine Hand sich wie von selbst ausstreckte und die Luft um ihre Haare streichelte. Ihm war kalt, und er stellte sich vor, dass es Nina noch viel kälter war, weil ihr Kopf unbedeckt war und sie nur leichte Schuhe an den Füßen trug.
    »Komm, lass uns gehen«, sagte er, »wir werden schon etwas finden, wo du schlafen kannst.«
    Sie ging neben ihm her, klein, in sich gekehrt, mitkurzgeschnittenen Haaren, und blieb einen halben Schritt zurück, weil er lange Schritte machte. Er war viel größer als sie, und sein Schatten fiel auf ihren. Sie gingen an der Wäscherei und der Schusterei vorbei. Der kalte Wind trug einen Geruch von feuchtem Staub und Hühnermist mit sich. Über die Dächer krochen dunkle Wolken, und nicht ein Stern war zu sehen. Joav ging in Gedanken die Liste der Probleme durch, die er morgen und in den nächsten Tagen zu bearbeiten hatte. Zeschka hatte den Kibbuz um die Erlaubnis gebeten, ihre Familie in Europa besuchen zu dürfen, Zvi Provisor brauchte einen neuen Rasenmäher, Großmutter Slava hatte eine der Küchenarbeiterinnen gebissen, Roni Schindlin war nachts ins Kinderhaus eingedrungen und hatte einen fünfjährigen Jungen verprügelt, David Dagan hatte sich von Edna Ascherow getrennt, für die Zahnarztambulanz mussten dringend Geräte angeschafft werden, und jetzt musste er auch noch mit Avner sprechen und herausfinden, ob sich noch etwas machen ließ, ob es sich hier nur um eine Krise für eine Nacht handelte oder um eine zerbrochene Familie.
    Nina war drei, vier Jahre jünger als er, und seit ihrer Kindheit hatte Joav ihren unabhängigen Geist und ihre Standhaftigkeit bewundert. Sie war als Waisenkind zuuns gekommen, ihr Großvater hatte gewollt, dass sie

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