Unter Freunden
bei uns aufwuchs. Vom ersten Tag an hatte sie ganz ruhig auf ihrer Meinung bestanden, und die anderen lernten ihre stille Beharrlichkeit zu schätzen. Bei den Vollversammlungen stimmte sie mehr als einmal allein oder fast allein gegen die Mehrheitsmeinung. Nach ihrem Militärdienst meldete sie sich freiwillig dazu, eine Gruppe krimineller Jugendlicher in einer abgelegenen Kleinstadt zu betreuen. Danach hatte sie allein in der Imkerei gearbeitet und sie in einen erfolgreichen Produktionszweig verwandelt, und andere Imker waren gekommen, um bei ihr zu lernen. Als sie an die Reihe kam, eine Ausbildung zu machen, bestand sie darauf, Sozialarbeiterin zu werden, obwohl die Kibbuzvollversammlung beschlossen hatte, sie zu einem Kindergärtnerinnenseminar zu schicken. Nina war die Wortführerin der Frauen, die bei uns dafür fochten, die kleinen Kinder nachts nicht gemeinsam im Kinderhaus, sondern bei ihren Eltern schlafen zu lassen. Die Vollversammlung hatte ihren Antrag abgelehnt. Nina war fest entschlossen, den Antrag so lange immer wieder auf die Tagesordnung setzen zu lassen, bis sie die Mehrheit von ihrem Standpunkt überzeugt haben würde.
Zwei, drei Monate nachdem die Nachal-Fallschirmjägereinheit zu uns gekommen war, fiel ihre Wahl auf einen von ihnen, Avner Sirota, den Helden der Vergeltungsaktion in Chirbat Dschawad, und nur zwei Monate später war sie bereits schwanger. Im Kibbuz reagierte man auf diese Verbindung mit Verwunderung und sogar Enttäuschung. Doch nach wie vor schätzte man Nina bei uns für ihre Aufmerksamkeit, die sie den anderen entgegenbrachte, auf ihre ruhige Art war sie immer bereit, jedem zu helfen, der Hilfe benötigte. Als Boas plötzlich Osnat verlassen hatte und zu Ariela Barasch gezogen war, hatte Nina einige Tage bei Osnat verbracht. Und als sich alle Frauen weigerten, mit Großmutter Slava zusammen auf der Küchenveranda Gemüse zu putzen, übernahm Nina diese Aufgabe. Joav hatte noch mit keinem darüber gesprochen, aber er hatte vor, der Vollversammlung vorzuschlagen, Nina für den Posten des Sekretärs zu wählen, wenn er aufhörte. Vielleicht war diese Nacht ja nichts anderes als eine vorübergehende Krise, und sie würde sich morgen wieder fassen. Sie war doch ein verantwortungsbewusster und vernünftiger Mensch, man zerstörte nicht einfach eine Familie, nur weil der Mann nachts schnarchte oder weil er darauf beharrte, sich mit der Radiosprecherin anzulegen.
Sie überquerten den Speisesaalvorplatz, der von einigen Laternen erhellt wurde, und liefen am Springbrunnen mit den Goldfischen vorbei Richtung Kinderhäuser. Vor dem Babyhaus trafen sie auf Zippora, die dort Nachtwache hatte. Sie war etwa fünfundfünfzig, vertrocknet, kantig und tief davon überzeugt, dass die jungen Leute den Kibbuz zerstörten. Zippora war überrascht, den Mann von Dana Karni und die Frau von Avner Sirota mitten in der Nacht zusammen über den Rasen spazieren zu sehen. Aber sie verbarg ihre Überraschung und sagte ohne ein Wort der Verwunderung: »Ich möchte euch nicht stören.« Trotzdem schlug sie ihnen vor, in der Babyküche zusammen mit ihr einen Imbiß zu sich zu nehmen. Nina sagte: »Nein, danke«, und Joav entschuldigte sich verlegen und stammelte zur Erklärung etwas von einer dringenden Angelegenheit, die keinen Aufschub dulde und die Nina noch heute Abend mit ihm besprechen müsse. Er wusste, dass diese Worte nichts nutzen würden. Schon morgen würden sie von Zippora direkt zu Roni Schindlin und zum Tisch der Klatschmäuler gelangen: Nun, ratet mal, wen unser Wachmann in der Nacht bewacht?
»Wir haben es eilig, wir müssen dringend etwas aus dem Sekretariat holen«, erklärte Joav, und im Weitergehen sagte er zu Nina: »Man wird morgen über uns reden. Der ganze Kibbuz wird reden.«
»Mir ist das egal, aber für dich tut es mir leid.«
»Und Avner?«
»Soll er eifersüchtig sein. Auch das ist mir egal.«
»Wenn wir den Schlüssel zum Zimmer der Gastdozenten geholt haben, begleite ich dich dorthin. Dann schläfst du erst einmal ein paar Stunden, und morgen werden wir mit klarerem Kopf über alles nachdenken.«
»Mein Kopf war nie klarer als jetzt.«
Als sie im Kibbuzsekretariat angekommen waren, hing der Schlüssel nicht wie sonst am Brett. Jetzt erst fiel Joav wieder ein, dass er ihn am Nachmittag einem Luftwaffenoffizier gegeben hatte, der gekommen war, um mit den Jungen und Mädchen zu sprechen, die in Bälde ihren Militärdienst antreten würden, und über Nacht im Kibbuz geblieben
Weitere Kostenlose Bücher