Unter goldenen Schwingen
innehielt.
»Woher wissen Sie das?«
»Aus demselben Grund, aus dem ich wusste, dass du überfallen worden warst.«
Ich drehte mich langsam zu Kaster um. »Was geht hier vor?«, flüsterte ich.
Kaster antwortete nicht. Er hatte wieder diesen seltsamen Ausdruck im Gesicht. »Du sorgst dich um ihn«, sagte er schließlich leise.
»Natürlich! Er hat mich gerettet, bereits zum zweiten Mal, wie Sie selbst festgestellt haben – und ich kenne nicht einmal seinen Namen!«
»Du bist in Sicherheit«, sagte Kaster. »Das ist alles, was für ihn zählt.«
Ich trat auf Kaster zu. »Wer ist er?«
»Es liegt nicht an mir, dir das zu sagen«, erwiderte er. »Das ist die einzige Antwort, die ich dir geben kann.«
Ich starrte ihn sprachlos an. Ich hatte Ausflüchte erwartet, Verleugnung, oder Lügen – doch Kasters direkte Art überraschte mich.
Wenige Augenblicke später hörte ich die Sirene des Polizeiwagens. Die Beamten klopften an Kasters Tür und der Friedhofswärter öffnete ihnen mit einem letzten warnenden Blick in meine Richtung.
Ich schilderte den beiden Polizisten den Überfall und beschrieb die drei Männer so gut ich konnte: den Dicken mit Pferdeschwanz, den Dünnen, und den mit dem Spinnennetz-Tattoo am Hals.
»Der Überfall ist bei dem Wrack geschehen?«, fragte einer der Beamten.
»Ungefähr einen halben Kilometer die Straße hinunter«, bestätigte ich.
Die Polizisten wechselten einen Blick untereinander. »Wir sind gerade dort vorbeigefahren. Es war kein anderer Wagen auf der Straße.«
»Sie sind wahrscheinlich schon abgehauen«, murmelte Kaster.
»Haben Sie den Mann erkannt, der Ihnen geholfen hat?«, fragte einer der Beamten.
Ich blickte zu Kaster. Sein Gesichtsausdruck war ernst, doch ohne eine erkennbare Regung.
»Nein«, sagte ich zögernd. »Ich kenne ihn nicht.«
»Können Sie ihn beschreiben?«
»Groß, blond … mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen.«
»Danach sind Sie zu Herrn Kasters Haus gelaufen?«
Ich nickte.
»Haben Sie etwas von dem Überfall bemerkt?«, fragte der Beamte, an Kaster gewandt.
»Nein. Frau Winter kam aufgelöst zu mir, dann haben wir Sie angerufen.«
Die Polizisten nahmen meine Daten auf, und gaben die Personenbeschreibungen durch. »Sie hören von uns, sobald wir diese Kerle ausfindig gemacht haben. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, dann rufen Sie uns bitte an.«
Nachdem die Polizisten gegangen waren, starrte ich Kaster schweigend an.
»Sie meinen es ernst«, stellte ich schließlich ernüchtert fest. »Sie werden mir nichts über ihn sagen, nicht wahr?«
Kaster schüttelte den Kopf.
Ich biss mir auf die Lippen und fühlte eine Mischung aus Frustration und brennender Neugier. »Glauben Sie, es geht ihm gut?« Die Sorge in meiner Stimme war deutlich. »Sie haben ihn doch nicht mitgenommen … ?«
»Ihn mitgenommen?«
»Ich meine die Männer, die mich überfallen haben. Sie haben ihn doch nicht …?«
Kaster starrte mich entgeistert an. Seine Mundwinkel zuckten, und dann lachte er.
Gekränkt runzelte ich die Stirn. »Er war allein gegen drei. Und er hatte nicht einmal ein Auto.« Als ich die Worte aussprach, wurde mir diese Tatsache erst bewusst. »Was hatte er dort überhaupt zu suchen? Zu Fuß, mitten im Nirgendwo?«
»Ich glaube nicht, dass er zu Fuß war«, erwiderte Kaster und schien ein Schmunzeln zu unterdrücken.
»Was soll das? Nehmen Sie mich überhaupt ernst?«, fragte ich wütend.
»Ich nehme dich sogar sehr ernst. Und jetzt werde ich dir eine Frage stellen: glaubst du wirklich, dass diese Männer eine Gefahr für ihn darstellen?«
Ich setzte zu einer Antwort an, doch dann zögerte ich. Ich erinnerte mich an das überwältigende Gefühl, dass ich draußen bei dem Wrack empfunden hatte, als er die drei Kerle nur durch sein Auftreten zurückgedrängt hatte.
»Das wäre also geklärt«, sagte Kaster trocken. »Soll ich dir ein Taxi rufen? An deiner Stelle würde ich heute nicht mehr mit dem Bus fahren. Nur so ein Gefühl.«
Ich sah ihn argwöhnisch an. »Das gleiche Gefühl, das Ihnen sagte, ich soll nicht zur Unfallstelle gehen?«
Kaster nickte.
»Taxi, bitte«, sagte ich.
Kaster grinste zufrieden, als er den Hörer in die Hand nahm.
»Sagt Ihnen Ihr Gefühl sonst noch etwas?«, fragte ich, nachdem er aufgelegt hatte.
»Ja.« Der alte Mann blickte mich ernst an. »Hör auf, nach ihm zu suchen.«
»Oder was?« Meine Stimme klang trotzig.
»Das kannst du dir nicht einmal vorstellen«, flüsterte Kaster leise.
EINE
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