Unter goldenen Schwingen
…«
»Genau darüber will ich mit dir sprechen«, sagte Nathaniel geduldig. »Deshalb sind wir hier. Bitte.« Er führte mich durch das Haupttor auf das Friedhofsgelände.
Ich war so durcheinander, dass ich kaum bemerkte, wohin wir gingen, bis Nathaniel plötzlich vor einer Tür stehen blieb. Ich erkannte das Haus und blickte Nathaniel fragend an. »Was sollen wir hier?«
Doch Nathaniel schüttelte den Kopf. Im nächsten Moment ging die Tür auf und Adalbert Kaster erschien auf seiner Türschwelle.
»Na, das hat ja nicht lange gedauert«, brummte er. Dann, zu meinem Entsetzen, musterte er Nathaniel von Kopf bis Fuß. Meine Kinnlade klappte hinunter.
»Und wo ist der Rest der Bande?« fragte er an Nathaniel gewandt. Es klang nicht gerade freundlich.
»Noch nicht hier«, erwiderte Nathaniel.
Ich starrte sprachlos zwischen den beiden hin und her.
»Das sehe ich selbst. Kommt schon herein«, murmelte Kaster und trat beiseite. »Schlechter Tag heute, um draußen zu sein. Zu viele Inferni.« Er sprach in einem Ton, als würde er das Wetter kommentieren.
Nathaniel trat an ihm vorbei ins Haus und zog mich mit sich.
»Setz dich.« Nathaniel drückte mich sanft auf Kasters Steppdeckensofa. Mit besorgtem Blick kniete er neben mir nieder. »Geht es dir besser?«
»Was denkst du denn, wie es ihr geht?«, brummte Kaster verärgert. »Sieh dir das Mädchen doch an, blass wie ein Gespenst! Was hast du dir nur dabei gedacht? Es ist nicht nur gegen die Ordnung …«
»Sie hat mich erkannt, Adalbert«, erwiderte Nathaniel und richtete sich auf.
» … sondern gegen das Gesetz!«
»Was hätte ich deiner Meinung nach tun sollen?« Nathaniel blickte Kaster ernst an. »Und es ist nicht gegen das Gesetz.«
»Du weißt genau, was ich meine.« Kaster machte sich in der kleinen Küche zu schaffen, wobei er ziemlich heftig mit dem Geschirr hantierte.
»Darf ich auch einmal etwas sagen?«, fragte ich verwirrt und starrte Kaster an. » Wer sind Sie eigentlich?«
Kaster blickte Nathaniel an und breitete die Arme aus. »Da hast du’s!«
Nathaniel schüttelte den Kopf, und wandte sich mir zu. »Es gibt einige Menschen, die uns sehen können«, sagte er behutsam. »Erinnerst du dich?«
»So wie Melinda Seemann.«
Nathaniel nickte.
»Von Melinda weiß sie auch?« Kasters verärgerte Stimme klang aus der Küche. »Gibt es eigentlich etwas, das du ihr nicht erzählt hast?«
Nathaniel ignorierte ihn. »Adalbert gehört auch dazu. Weißt du noch, dass ich dir sagte, ich würde es dir später erklären? Ich muss dich noch um ein wenig Geduld bitten …«
Als ich protestieren wollte, hob er die Hand.
» … weil wir im Augenblick wichtigere Dinge zu besprechen haben. Viel wichtigere Dinge.« Seine Stimme klang düster.
»Ja«, sagte Kaster ärgerlich, während er in einem Topf auf dem Herd rührte. »Er will dir noch einen Haufen Dinge erzählen, die nicht für deine Ohren bestimmt sind.«
Nathaniel blickte Kaster an. »Sie waren in ihrer Schule, Adalbert.«
»Sie sind überall«, erwiderte Kaster mit einer abschätzigen Bewegung.
»Aber Victoria kann sie sehen.«
Der alte Mann verstummte und starrte Nathaniel an. »Was sagst du da?«
»Verstehst du jetzt, wie wichtig das hier ist?«, flüsterte Nathaniel.
Kaster nahm den Topf vom Feuer und leerte den dampfenden Inhalt in eine Tasse, die er vor mich auf den Wohnzimmertisch stellte. Es war heiße Schokolade.
»Für deine Nerven«, brummte er. »Du bist anscheinend etwas Besonderes, Mädchen. Tut mir leid für dich.«
Ich wärmte meine Finger an der heißen Tasse und kostete vorsichtig die dampfende Schokolade.
Nathaniel ließ sich auf einem Stuhl mir gegenüber nieder. Er stützte seine Ellenbogen auf die Oberschenkel, lehnte sich nach vorne und blickte mich besorgt an.
»Keine Angst«, murmelte ich über den Rand der Tasse. »Ich falle nicht in Ohnmacht oder so.«
»Gerade eben warst du kurz davor«, sagte er leise.
»Es geht mir gut.«
»Du hast da eine Kämpferin, mein Freund«, brummte Kaster. »Ein paar Inferni hauen dich nicht um, nicht wahr, Victoria?«
Nathaniel blickte mich fragend an. »Wo sind sie aufgetaucht? Auf dem Weg zum Parkplatz?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Das Erste habe ich bei meinem Spind gesehen.«
»Bei deinem Spind?«, fragte er entsetzt. »Im dritten Stock?«
Ich nickte zögernd.
»Du bist drei Stockwerke vor ihm davongelaufen? Durch die Aula und den Schulhof?«
»Naja … eigentlich bin ich vor den anderen davongelaufen«,
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