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Unter goldenen Schwingen

Unter goldenen Schwingen

Titel: Unter goldenen Schwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Luca
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Sekunden vergingen, und in der unangenehmen Stille schien es mir wie eine Ewigkeit. Ich zermarterte mir das Hirn, verzweifelt auf der Suche nach Erinnerungsfetzen aus dem Unterricht.
    »Ich kann dir nicht helfen.« Eine rauchige Stimme ertönte von links.
    Ich riss den Kopf hoch.
    Ramiel lehnte in all seiner Lässigkeit am Fenster, seinen intensiven Rockstarblick auf mich gerichtet.
    »Ra…«, entfuhr es mir unwillkürlich.
    Schulz runzelte missfallend die Stirn. Mein Gesicht musste mindestens so rot sein wie das von Mark.
    Ich habe keine Ahnung , flehte ich in Gedanken, meinen Blick auf Ramiel gerichtet.
    »Genau das ist das Problem.« Ramiel breitete entschuldigend die Arme aus.
    »Ra, sei kein Idiot«, sagte Nathaniel, der rechts neben mir stand.
    Ramiel schüttelte den Kopf. »Ich habe die Regeln nicht gemacht.«
    »Regeln? Die haben wir längst gebrochen.«
    Herr Schulz, der zwischen den beiden saß, genoss offenbar meine Hilflosigkeit. »Wird das heute noch etwas?«, fragte er gedehnt.
    Die Blicke der beiden Engel hatten sich ineinander verkeilt. Die Luft zwischen ihnen knisterte. Ich starrte zwischen den beiden hin und her und war kurz davor, aufzugeben, als plötzlich Nathaniels Stimme das Schweigen durchbrach. »Victoria, es ist die zweite Ableitung.«
    Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Ramiels bronzener Schimmer flackerte. Als ich mich ihm zuwandte, war sein Platz am Fenster leer.
    Verwirrt wandte ich mich dem Mathelehrer zu.
    »Es ist die zweite Ableitung«, echote ich.
    Schulz sah mich einen Moment lang misstrauisch an. »Und?«, sagte er dann. »Wärst du wohl so freundlich, sie für uns aufzuschreiben?«
    Der Eisblock in meinem Magen breitete sich aus.
    »Nimm die Kreide«, sagte Nathaniel.
    Ich griff nach einem Stück Kreide und setzte sie zögernd auf die Tafel. Ich hatte keinen blassen Schimmer, was ich aufschreiben sollte – da begann Nathaniel mit ruhiger Stimme die Lösung zu diktieren. Ich schrieb auf, was er mir vorsagte. Mein Blick flackerte ständig zu Schulz, der mich schweigend beobachtete. Ich hatte keine Ahnung, ob das, was ich schrieb, richtig war. Ich stand einfach da, die Kreide an der Tafel, und folgte Nathaniels Instruktionen. Als er plötzlich schwieg, blickte ich ihn unsicher an, und hielt die Kreide weiterhin wartend an die Tafel gedrückt.
    »Wir sind fertig«, bemerkte er.
    »Oh.« Ich legte rasch die Kreide beiseite.
    Schulz betrachtete meine Rechnung schweigend. »Das ist richtig«, gab er schließlich widerwillig zu.
    Ich schwankte zurück zu meinem Platz und warf Nathaniel über die Schulter einen Blick zu. Danke. Vielleicht sollte ich dich zu meinen Abschlussprüfungen mitnehmen.
    »Kommt nicht in Frage.« Sein Lachen klang quer durch den Raum. »Das war eine Ausnahme. Schließlich habe ich dich vom Lernen abgehalten.«
     
    Als nächstes stand eine Doppeleinheit Sport auf dem Stundenplan. Während wir die Treppen zum Turnsaal hinuntergingen, nützte Anne die Gelegenheit, mir alle Einzelheiten von Chrissy und Mark zu berichten, doch ich hörte ihr kaum zu. Meine Aufmerksamkeit war auf Nathaniel gerichtet, der unbekümmert an meiner Seite ging, während andere Schüler an ihm vorbeirannten. Ich war noch immer so irritiert von dem Anblick, dass ich nicht einmal merkte, dass Anne zu reden aufgehört hatte.
    »Ich glaube, sie wartet auf eine Antwort von dir«, bemerkte Nathaniel plötzlich.
    Was? Ich drehte widerwillig den Kopf von ihm fort.
    »Äh …«, begann ich unsicher, und wich Annes beleidigtem Blick aus. Ich hatte kaum mitbekommen, was sie gesagt hatte.
    »›Wenn Mark sich nicht endlich getraut hätte hätte ich ihm in den Hintern getreten das war ja absolut überfällig findest du nicht‹«, rezitierte Nathaniel in einem Atemzug.
    »Oh.«, sagte ich. »Ja. Absolut überfällig.«
    Anne verdrehte die Augen. »Also echt. Seit diesem Unfall bist du wirklich seltsam. Vielleicht solltest du die Medikamente absetzen.«
    Nathaniel begleitete uns zu den Umkleideräumen und verschwand dann in Richtung Turnhalle, während wir uns umzogen. Ich zog mein T-Shirt zwei Mal verkehrt herum an, bis Anne mich mit dem Ellbogen in die Seite stieß.
    Als die Glocke den Stundenbeginn ankündigte, betrat ich nervös den Turnsaal und setzte mich neben Anne an den Rand. Während Frau Lehner die Anwesenheitsliste durchging, sah ich mich im Turnsaal um. Ich konnte Nathaniel nicht entdecken. Meine Augen wanderten zu den Zuschauertribünen, in der Erwartung, ihn dort oben sitzen zu sehen –

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