Unter goldenen Schwingen
beantwortete meine Frage.
»Theoretisch … wären Seras Vorschläge die Lösung?«, fragte ich leise. »Ein Befehl oder ein Hilferuf?«
»Es gab weder einen Befehl …«
»Ich weiß. Nur theoretisch. Könnte es funktionieren?«
Nathaniel neigte nachdenklich den Kopf.
»Ja«, sagte er schließlich. »Theoretisch müsste es funktionieren.«
»Das war alles, was ich wissen wollte«, sagte ich und Entsetzen breitete sich auf Nathaniels Gesicht aus.
»Genau das habe ich gemeint«, stöhnte er. »Jetzt wirst du es versuchen, und du wirst es nicht schaffen, und dann wirst du daran zerbrechen.« Er nahm mein Gesicht zwischen seine Hände. Kleine Flammen knisterten auf seiner Haut und prickelten an meinen Wangen. »Ich könnte es nicht ertragen, wenn du dir das antust, Victoria. Und ich werde Seraphela niemals vergeben, was sie heute angerichtet hat.« Seine Augen brannten golden.
Ich zog seine Hände von meinem Gesicht und streichelte sanft über die Flammen. »Ich danke Seraphela dafür, dass sie das gesagt hat«, flüsterte ich und sah ihm fest in die Augen. »Weil sie Recht hat.«
Nathaniel wandte sich gequält ab, doch ich ließ seine Hände nicht los.
»Ich werde nicht zulassen, dass du fällst«, flüsterte ich. »Weil ich nicht zulassen werde, dass jemand dich mir wegnimmt. Niemand. Nicht einmal die Erzengel.«
Es hatte mich einige Überredungskunst gekostet, doch schließlich hatte ich Nathaniel davon überzeugt, mich wie geplant zu Melinda Seemann zu begleiten; hauptsächlich dadurch, dass ich gedroht hatte, ansonsten einfach ohne ihn zu fahren.
Wir stiegen die Treppe zum Haupteingang der Bibliothek hinauf und klopften an die riesige Tür. Es war Samstag, die Universität war verlassen, und die Bibliothek war geschlossen.
»Ich weiß wirklich nicht, was du hier willst …«, begann Nathaniel, doch ich unterbrach ihn.
»Ist sie hier?«
Er seufzte und nickte. Ich blickte ihn auffordernd an.
»Also gut«, murmelte er schließlich. Er ließ seine Hand über die Tür gleiten und das Schloss sprang auf.
»Danke.« Ich schob mich an ihm vorbei durch die Tür.
Wir durchquerten mit raschen Schritten den Eingangsbereich und folgten dem Gang, bis wir vor Melinda Seemanns Büro stand. Das letzte Mal, als ich hier gewesen war, war der Abschied recht frostig gewesen – doch ich hatte keine Zeit, um mich mit Unsicherheit aufzuhalten.
Beherzt klopfte ich an die Tür und trat ein, Nathaniel an meiner Seite.
Melinda Seemann stand am Fenster und telefonierte. Sie hob überrascht die Augenbrauen, als sie uns eintreten sah.
»Ich rufe Sie zurück«, sagte sie. »Wie ich gerade feststelle, habe ich wohl ein Meeting übersehen.« Sie legte auf und musterte uns schweigend.
»Tut mir leid, dass wir so hereinplatzen«, sagte ich unbehaglich. Melindas aristokratische Art gab mir immer das Gefühl, irgendwie deplatziert zu sein.
»Überhaupt nicht«, erwiderte sie mit einem angenehmen Lächeln, als hätte unsere Auseinandersetzung niemals stattgefunden. »Es freut mich, dich wiederzusehen, Nathaniel. Du siehst furchtbar aus.«
Nathaniel lächelte schmerzlich.
»Nach unserem letzten Gespräch habe ich nicht erwartet, dich so bald wieder hier zu sehen, Victoria.« Melinda bot uns das Sofa an und zog sich selbst einen Stuhl heran, auf dem sie Platz nahm.
Ich sank auf die Kante des Ledersofas, während Nathaniel es vorzog, stehen zu bleiben.
»Sie hatten Recht mit dem, was Sie gesagt haben«, sagte ich. »Die Angriffe auf mich waren eine Mission.«
»Wir brauchen deine Hilfe«, sagte Nathaniel.
Melinda lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Ich höre.«
»Es gibt einen Dämon, der Victoria in ihren Träumen heimsucht.« Nathaniels Stimme klang düster. »Wir glauben, dass er die Inferni auf sie angesetzt hat. Sein Name ist Lazarus.«
»Erzähl mir von diesen Träumen«, sagte sie.
»Über den ersten Traum kann ich nicht sprechen«, sagte ich zögernd. »Der zweite Traum handelte von Dingen, die tatsächlich geschehen sind … zum Großteil, jedenfalls. Es war eine Situation in meiner Wohnung, als die Inferni mich belagerten … und dann wurde ich von einigen Männern angegriffen, und sie hatten diese Dinger in sich.«
»Niedere Dämonen«, sagte Nathaniel leise. »Victoria konnte sie sehen.«
»Ich verstehe«, sagte Melinda. »Und dieser Dämon Lazarus, er war immer dabei?«
Ich nickte.
»Hat er etwas zu dir gesagt?«
Ich senkte den Blick und biss mir auf die Lippen. Wenn ich Melinda von Lazarus‘
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