Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
dann würde er sie töten lassen, so wie er es mit David Zuckerman getan hatte. Niemand konnte sie dann noch schützen. Die einzige Lösung schien, ihren Job aufzugeben und das Land zu verlassen. In Singapur oder Japan konnte sie vielleicht einen neuen Job finden, so weit weg wie möglich von Sergio und den bedrohlichen Männern in diesem düsteren Lagerhaus in Brooklyn. Aber würde sie mit dem Wissen weiterleben können, dass Sergio weiterhin ungestraft Menschen umbringen ließ? War es nicht ihre Pflicht, ihn daran zu hindern? Sie dachte an Kostidis’ Worte am Weihnachtstag im Haus der Downeys. Ich hatte den Eindruck gewonnen, dass Sie genug Mut hätten, um das Richtige zu tun … Sie zuckte zusammen, als sie genau in diesem Augenblick Nick Kostidis auf dem Bildschirm sah. Er stand vor einem Polizeirevier, von Reportern umdrängt, und seine dunklen Augen schienen sie direkt anzusehen. Bittend. Fordernd. Zwingend. Dieser Mann war genauso wenig zu durchschauen wie Sergio. Alex traute ihm nicht. Es gab so viele Geheimnisse und die Wahrheit hinter diesen Geheimnissen war weitaus komplexer und gefährlicher als es auf den ersten Blick den Anschein machte. Alex war so in Gedanken, dass sie nicht zugehört hatte, von was Kostidis überhaupt sprach. Erst jetzt stellte sie den Ton lauter. Sergios Sohn Cesare war in der vergangenen Nacht verhaftet worden.
»Wir haben seit langem den Verdacht, dass Mr Vitali mit den zahlreichen Überfällen auf Mietshäuser in der Bronx zu tun hat «, sagte der Bürgermeister gerade, »und die Beteiligung seines Sohnes scheint hierfür der endgültige Beweis zu sein ...«
Alex tastete nach dem Zigarettenpäckchen. Als sie feststellte, dass es leer war, zerknüllte sie es ungeduldig. Ein Reporter fragteKostidis, ob er glaube, dass das Attentat auf Vitali im Zusammenhang mit dem Drogenfund am Brooklyner Hafen stünde. Alex richtete sich auf.
»Ich wurde darüber informiert, dass Mr Vitali heute Nacht offenbar in eine Schießerei verwickelt war«, sagte Kostidis und es kam Alex vor, als ob er sie direkt ansehen würde. »Augenzeugen berichteten, dass aus einem fahrenden Auto auf Vitali und seine Begleiter geschossen wurde, als sie ein Restaurant in der
51. Straße verließen. Allerdings ist bis jetzt nichts über eventuelle Täter oder Hintergründe bekannt. Man weiß noch nicht einmal, ob Vitali überhaupt verletzt wurde oder vielleicht sogar gar nicht mehr am Leben ist.«
»Oh, mein Gott«, murmelte Alex und schlang die Arme um ihre Knie, als ob sie fröre. Sie wusste es. Wenn sie nicht so schnell reagiert hätte, wäre Sergio jetzt vermutlich tot. Und darüber wäre Bürgermeister Kostidis wahrscheinlich nicht besonders traurig.
***
Vor der Tür des Krankenzimmers warteten Nelson und Massimo darauf, mit Sergio sprechen zu dürfen. Den beiden Männern stand die Nervosität ins Gesicht geschrieben.
»Wann kann ich mit meinem Vater sprechen, Doktor?«, fragte Massimo Dr. Sutton.
»Es wird noch eine Weile dauern«, sagte der Arzt, »er braucht viel Ruhe nach dem großen Blutverlust und der Operation.«
»Ich kann nicht warten!« Massimo dämpfte seine Stimme nur mit Mühe. »Mein Bruder hat sich letzte Nacht umgebracht! Mein Vater ist der Einzige, der mir sagen kann, was ich jetzt tun soll!«
»Wirklich, Martin«, mischte sich Nelson van Mieren ein, »die Lage ist sehr ernst.«
»Also gut«, der Arzt resignierte, »aber regen Sie ihn bitte nicht zu sehr auf.«
Massimo öffnete die Tür des Krankenzimmers und Nelson folgte ihm.
»Papa«, der junge Mann trat an Sergios Bett und erschrak, als er sah, wie schlecht der Vater aussah. Samstagnacht war
ihm die Verletzung gar nicht so schlimm erschienen. Die vielen Schläuche und Geräte machten Massimo noch nervöser, als er es ohnehin schon war. Bis gestern hatte er kaum eine Ahnung davon gehabt, was sein Vater wirklich tat und welch fatale Auswirkungen eine einzige falsche Entscheidung haben konnte. Massimo hatte zuversichtlich geglaubt, es sei nicht so schlimm, wenn der Vater für ein paar Tage ausfiel, aber die Ereignisse der letzten 48 Stunden hatten den jungen Mann eines Besseren belehrt. Er fühlte sich so hilflos wie auf einem Schiff in Seenot, dessen Kapitän ausgefallen war. Die Verhaftung und der Tod seines jüngsten Bruders zogen auf einmal so große Kreise, dass Massimo Angst bekam. Im Fernsehen wurde öffentlich über Zusammenhänge zwischen seinem Vater und illegalen Entmietungsaktionen sowie dem Drogenfund im Hafen
Weitere Kostenlose Bücher