Unter Korsaren verschollen
offenes Meer, das ist alles. Selbstverständlich wird die Einladung Parvisis als Gastgeber in dem Haus der Niederlassung angenommen und mit ihm auf das weitere Blühen und Gedeihen der Geschäfte angestoßen werden. Einige verstaubte Flaschen des köstlichen Malagaweines, für besondere Anlässe bereitgehalten, fänden sich bestimmt in den Lagerräumen. Man werde sie ihm zu Dank leeren, hatte der junge Landsmann gesagt.
Civone bespricht sich dann noch kurz mit dem Ersten Offizier und dem Steuermann und zieht sich zurück.
Stunden später, an der Schwelle zwischen Nacht und Tag. Der Offizier hat soeben den ersten Teil seiner Ein-tragungen ins Logbuch beendet, als ein Ruf aus dem Mastkorb ertönt:
»Schiff in Sicht!«
»Standort?« fragt der Offizier zurück.
»Westsüdwest!«
»Was für ein Schiff?«
»Noch nicht zu erkennen!« kommt es nach einer Weile von oben.
»Einzelheiten sofort melden!«
»Jawohl, Herr!«
Aufgeregt geht der Diensthabende an Deck auf und ab.
Er ist unzufrieden mit sich, daß ihn die Meldung so bewegt. An sich ist es doch eine Alltäglichkeit, Schiffen zu begegnen. Und vor allem in Küstennähe, wo der Verkehr ohnehin stärker ist als auf offener See. Aber er kann das unruhig schlagende Herz nicht beschwichtigen.
»Wie steht’s?« fragt er wieder hinauf.
»Scheint ein Schnellsegler zu sein. Ich kann noch nichts Bestimmtes sagen.«
»Mann, du mußt doch einen Schnellsegler von einem gewöhnlichen Schiff unterscheiden können! Reib dir die Müdigkeit aus den Augen! Ich komme selbst!« Der Offizier nimmt das Teleskop und entert auf.
»Dort, Herr!« gibt der Mann im Ausguck die Richtung an und fügt entschuldigend hinzu: »Das Licht ist sehr ungünstig.«
Lange beobachtet der Offizier das noch weit entfernte Schiff. Ein Schnellsegler, das steht außer Zweifel. Mehr aber kann auch er noch nicht feststellen. Vielleicht ein spanisches Kriegsschiff oder ein Franzose. Gut Wär’s; dann liefe man nicht Gefahr, etwa in letzter Minute noch mit einem Korsaren Bekanntschaft zu machen.
»Also, laß den Kerl nicht aus den Augen, Mann. Ein flinker Bursche ist es.«
Der Offizier begibt sich zurück auf Deck.
Wenig später kann er von hier aus das Schiff sehen. Er stößt einen handfesten Fluch aus. Der Fremde hält auf die »Astra« zu.
»Korvette in Sicht!« kommt die Meldung vom Ausguck.
»Spanier, Franzose?«
»Führt keine Flagge!«
»Verdammt! Segelmeister! Junge!« Die Angerufenen eilen herbei.
»Alle Mann auf Deck!« befiehlt er dem einen, »Wecke den Kapitän!« dem anderen.
Die Pfeife des Segelmeisters schrillt in den stillen Morgen. Der Schiffsjunge rennt davon.
»Waffenmeister!« Ein vierschrötiger alter Seemann tritt zu dem Offizier.
»Eure Leute an die Geschütze. Der Tag kann heiß werden!«
»Was gibt es, Herr?« fragt der Alte.
»Da, nehmt das Glas! Westsüdwest!«
»Bei allen Heiligen! Ich will geteert und gefedert werden, wenn das nicht…«
»… ein Korsar ist! Könnt Euch drauf verlassen: Es ist ein Korsar! Gott sei uns gnädig! Ihr wißt, was uns blüht, wenn die Leute auch nur einen Augenblick die Hände sinken lassen. Treibt sie an. Der Kerl muß auf den Grund
– oder wir alle sind verloren.«
Da kommt der Kapitän. Nur wenige Worte braucht es, um dem erfahrenen Schiffsführer die Gefahr klarzuma-chen, in der sich die »Astra« befindet.
»Segelmannschaft in die Wanten!« befiehlt er. Der Segelmeister wiederholt den Befehl mit gewaltiger Stimme.
»Legt um auf West!« Die Anweisung wird ausgeführt.
Die »Astra« legt sich nach Luv über und richtet sich dann wieder auf.
»Geschütze fertig!« meldet der Waffenmeister.
»Abwarten!«
Der Schnellsegler ist nun mit bloßem Auge zu erkennen. Es ist ein schmuckes Schiff. Viel schnittiger gebaut als der Handelssegler, der im Vergleich mit ihm wie eine Schnecke dahinkriecht.
Ein Kampf wird unvermeidlich sein, wenn sich die Vermutung als richtig erweist, daß es ein Pirat ist, ein Korsar, vielleicht gar noch ein algerischer, und die
»Astra« nicht als französisches, sondern als genuesisches Schiff betrachtet wird. Dann wird man die »Astra« als Prise aufbringen. Das bedeutet für die Menschen Sklaverei oder Tod. Oft ist ein schneller Tod das kleinere Übel; denn die Qualen und Leiden in der Sklaverei sind unmenschlich. Wohl besteht die Möglichkeit, nach Jahren freigekauft zu werden, aber was inzwischen ausgestan-den werden muß, ist die neue Freiheit nicht wert. Viele gehen unter Hunger und Schlägen
Weitere Kostenlose Bücher