Unter Korsaren verschollen
er sich plötzlich an Geschehnisse, die bisher vergessen waren. Oft muß er sich anstrengen, Verbindungen zwischen einzelnen Lebensabschnitten herzustellen, aber es gelingt.
Da stutzt er. Was vor der Krankheit nach Alis Rettung war, ist in Dunkel gehüllt.
Benedetto wartet, fragt nicht. Wartet. Er sieht die krampfhaften Anstrengungen im Gesicht des anderen.
Stockend, immer wieder von Pausen unterbrochen, manchmal zuerst nur einzelne Worte hinwerfend, die sich zu Sätzen, zum Erlebnis formen, erzählt Omar weiter. So kommt er bis zum ersten Unterricht bei dem bö-
sen Marabut. Damals war er neun Jahre alt, konnte nicht einmal so sprechen wie Ali und Achmed.
Wieder Pause.
Der Italiener beobachtet ihn scharf. Omar bemüht sich wie ein vom Sandsturm Verschütteter, eine gewaltige Last von sich zu wälzen.
»Allah, Allah!« stöhnt er auf, springt hoch, stürzt davon, befiehlt dem Neger, das Pferd vorzuführen. Rennt wie ein Irrer umher.
Benedetto Mezzo lächelt.
Da treibt ein Mensch das Tier mit der Peitsche zum schärfsten Galopp an, um der Vergangenheit zu entfliehen, die sich mit Krallen ihm angeheftet hat.
Es ist eine Flucht in die Wirklichkeit, der Omar enteilen will. Benedetto lächelt noch immer.
Wochen später erscheint der Neger mit zwanzig Begleitern wieder bei Osman.
»Omar, der Kapitän, bittet dich, ihm den alten Gefangenen zu verkaufen«, bestellt er dem Scheik.
»Sage deinem Herrn, dessen unterwürfiger Diener ich bin, daß der Sklave nicht mir gehört. Ich kann deinem Herrn nicht gefällig sein«, weist der Sklavenhalter den Neger ab.
»So teile mir, o Scheik, den Namen des Besitzers mit.
Ich werde sofort zu ihm eilen; denn Omar muß den Alten unbedingt haben.«
»Muß er? Unbedingt? So, so.«
»Ja. Bitte sage mir den Namen.«
»Es ist der Gelehrte Mustapha!«
»Mustapha ist tot. Also verkaufe den Sklaven.«
Osman weiß genau, daß der Gelehrte tot, im Kampfe mit El-Fransi gefallen ist. Daß er trotzdem den Namen dieses einst Mächtigen nannte, war Berechnung. An sich steht einem Verkauf nichts im Wege. Niemand hat bisher Anspruch auf den Gefangenen erhoben, kein Mensch dürfte die Fäden kennen, die sich um den ehemaligen Sklaven ranken. Jetzt erst kommt Osman voll zum Be-wußtsein, daß er keine Rechenschaft mehr über den Italiener zu geben braucht. Warum habe ich ihn eigentlich so lange ernährt, der nichts mehr leistet? fragt er sich.
Ich werde ihn verkaufen, und so teuer wie möglich; denn Mustapha war sein Besitzer! Laut aber sagt er: »Er ist mir nicht feil. Bedenke, daß der Gelehrte ihn einmal be-saß!«
»Omar muß ihn haben!« beharrt der Neger auf seiner Forderung. Tausend Piaster mehr, als ich ursprünglich verlangen wollte, beschließt Osman. Erst aber fragt er noch, ehe er eine bestimmte Summe nennt: »Warum?«
»Ich weiß es nicht. Mein Herr hat befohlen, nicht ohne den Gefangenen zurückzukehren.«
Aha, dann nochmals tausend Piaster mehr! »Ich kann nicht, Mann«, wehrt der Scheik zum Schein ab. »Fordere, was du willst. Deine Forderung wird angenommen werden.« Der Kapitän ist dumm und verrückt, einen solchen Unterhändler zu schicken. Ohne mit der Wimper zu zucken, fordert Osman: »Zehntausend Piaster!« Schon die Hälfte, ein Viertel, ja selbst ein Zehntel davon hätte ihn befriedigt. Das unvorsichtige Drängen des Negers hat aber gezeigt, welchen Wert Omar auf diesen alten Mann legt. Mag er zahlen.
Der Schwarze reißt die Augen auf. Der Schreck ist ihm in die Glieder gefahren. Zehntausend Piaster! Ist Osman wahnsinnig? Er verlegt sich aufs Feilschen. Der Scheik bleibt fest. Noch mehr hätte man verlangen müssen, ärgert er sich.
»Der Preis schreit zum Himmel, o Scheik. Aber mein Herr hat befohlen. Rufe den Sklaven!«
»Erst das Geld!« fordert Osman.
»Du kennst meinen Herrn!« weicht der Unterhändler aus. »Gewiß.«
»Er wird dir die Summe schicken. So viel habe ich nicht bei mir.«
»So hole sie!«
»Ich habe dir gesagt, daß ich nicht mit leeren Händen zurückkommen darf.« Jetzt spiegelt sich Furcht in den Worten des Schwarzen. Osman bedauert. Ohne Geld keine Ware.
Lange überlegt der Neger. Er findet einen Ausweg:
»Schicke einige deiner Leute mit mir und dem Gefangenen nach Algier. Sie sollen ihn gegen die von dir genannte Summe meinem Herrn übergeben.«
Ein schlauer Zug. Damit ist er, der Unterhändler, aller Verantwortung ledig. Sollte Omar nicht bereit sein, so viel für den alten Mann zu geben, dann mag er ihn den Leuten Osmans
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