Unter Korsaren verschollen
daß, wenn die Europäer nur ernsthaft wollten, der Türkenherrschaft in Algier schnell der Todesstoß versetzt werden könnte. Vor allem auf Frankreich hatte der ehemalige Sklave hingewiesen, da England unter Lord Exmouth gezeigt hat, daß es die Türken nicht stürzen will. Die Europäer. Wunderliche Menschen sind es, die die Macht in ihren Händen nicht nützen. Und so einer von Geburt bist ja auch du, Omar.
Vorübergehende leuchten dem mitten in der Gasse Stehenden mit ihren Laternen ins Gesicht. Der junge Mann merkt es nicht, so vertieft ist er in seine Gedanken. Er hört nicht das Murren der Leute, die sich an ihm, fast die Mauern der Häuser streifend, vorbeischieben müssen, denn ihn anzustoßen wagt natürlich keiner. Dazu ist Omar zu schwer bewaffnet und als Liebling des Deys bekannt. Der Gruß eines geduckt mit ungeschütztem Licht Dahinschleichenden, der Gruß des alten Juden Simon, der die Gelder Omars verwaltet, streift wohl sein Ohr, dringt aber nicht ins Bewußtsein. Der Korsar ist eben dabei, eine Entscheidung zu treffen.
Die letzte kurze Strecke Wegs legt er dann fast sprin-gend zurück.
Benedetto Mezzo hört sich den Bericht Omars stumm an, aber seine Augen glänzen. Er sieht das Ende der jahrhundertelangen Türkenherrschaft mit den unzähligen Verbrechen an der Menschheit in greifbarer Nähe.
»Soso. Hussein hat dir eröffnet, daß du Admiral der algerischen Flotte werden könntest. Was wirst du tun, Omar?« fragt Mezzo, und Furcht schwingt in seiner Stimme mit.
»Ja, Admiral, Benedetto. Admiral! Ich würde zu den engsten Vertrauten des Deys gehören, könnte den anderen Kapitänen befehlen und hätte doch einen noch neben mir, der nicht sein darf, den Reis des falschen ,A1-Dschezair’. Ich werde dieses geheimnisvolle Schiff suchen und vernichten!«
»Junge, weißt du, was das bedeutet? Du mißachtest den Befehl des Deys.«
»Ja, Vater. Aber ich fürchte mich nicht. Ich werde französische Schiffe kapern, wenn sie meinen Kurs kreuzen, aber keine regelrechte Jagd auf sie machen.«
Der Genuese benutzt diese Gelegenheit, um noch einmal, aber nun in aller Eindringlichkeit, von den Schänd-lichkeiten der Türken zu sprechen. Livio Parvisi ist zum Algerier und danach zum Korsaren Omar erzogen worden. Er kann nichts dafür, daß er so denkt wie die Türken, aber er ist kein Kind mehr, sondern ein tatkräftiger, leidenschaftlicher und bis zum Äußersten mutiger Mann und – Europäer. Griechen, Spanier, Italiener, die mit voller Überlegung Renegaten wurden, hatten einst auch anders gedacht und gefühlt. Omar ist nun in einem Alter, in dem er eine Entscheidung über seinen ferneren Le-bensweg fällen kann. Aus dem Korsarenkapitän Omar muß wieder der Livio Parvisi oder, besser, muß der Europäer Livio Parvisi werden.
»Wenn du deinen Gegner erledigt hast, was wirst du dann tun, Junge?« fragt am Schluß der langen Unterhaltung Benedetto Mezzo. Schweigen. Langes, drückendes Schweigen.
Zum Verzweifeln, zum Verrücktwerden ist dieses Stummbleiben, denkt der Italiener. Aber nicht stören, nicht von neuem beginnen. Es arbeitet in Livio. Die ber-berischen, arabischen und türkischen Lehren, die einmal in das Kind gepreßt wurden, stehen noch im Wider-spruch mit dem, was ich ihm zu sehen und zu erkennen vermittelte. Er liebt mich; er weiß, daß ich seit seinen ersten Stunden auf der Erde um ihn gewesen bin. Aber diese Jugenderinnerungen und -erlebnisse sind ausgelöscht und überschattet durch die Jahre unter den Eingeborenen und auf den Raubschiffen.
»Erzähle mir von… meiner Mutter«, bittet plötzlich der Korsar.
Mezzo zuckt zusammen. Niemals ist bisher danach gefragt worden. Der Mohammedaner hat es immer für un-schicklich gehalten, mit einem anderen Mann über die Mutter zu sprechen.
Tränen rollen dem alten leidgeprüften Diener der Familie Parvisi über die Wangen, sein Herz schlägt hastig, als er, ganz leise sprechend, der Bitte nachkommt.
»Ich danke dir, Va… Benedetto.« Omar hat sich erhoben, nachdem er noch eine Weile nach Mezzos Worten stumm geblieben war, und geht nun langsam auf die Tür zu, die zu seinem Schlafgemach führt.
Vater, wollte Livio sagen. Er hat es bei einem Va… gelassen. Nie mehr werde ich dieses Wort aus seinem Munde hören, sinnt Benedetto traurig. Plötzlich aber hellen sich seine Mienen auf. Gewiß ist ihm »Mutter«
zum schönsten und heiligsten Begriff geworden, denkt er weiter. Und wenn das der Fall ist…!
»Wenn ich den falschen
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