Unter Korsaren verschollen
Es ist für ihn unerreichbar, unerreichbar selbst dann noch, wenn er es schon in der Hand hält. Der Bankier aber genießt wie ein Ertrinkender den Glanz, spielt mit den Stücken, läßt sie wieder und wieder auf den Tisch fallen, lauscht dem harten und hellen Klang nach.
Endlich legt er die Säckchen zur Seite und tritt zurück zum Gestell. Camillo muß in das Geheimfach hinein-leuchten. Beutel neben Beutel stehen darin. Ohne den Schlüssel zu benutzen, schließt Gravelli das Versteck.
Ein prüfender Blick über den ganzen Raum. Alles in Ordnung.
Bald nach des Bankiers Weggang hat auch Parvisi den Hafen verlassen. Es ging ihm nur darum, Nachricht von der »Astra« zu erhalten. Alle geschäftlichen Belange, die für sein Unternehmen mit dem Marseiller Segler zusammenhängen, werden die Angestellten wahrnehmen.
So kommt es, daß der ältere Herr, der etwas verspätet das Schiff verläßt, auf seine Erkundigung nach der Wohnung Parvisis den Bescheid erhält, Signore Parvisi sei kürzlich erst weggegangen. Der Herr möge diese und jene Straße entlanggehen, dann finde er schnell zum Haus des Handelsherrn. Jedes Kind könne ihm unterwegs Auskunft geben, sollte es wider Erwarten nötig werden.
»Herr Xavier de Vermont aus Marseille bittet um eine Unterredung«, meldet wenig später der Diener Andrea Parvisi den Besucher.
»Aus Marseille? Ich kenne niemand dieses Namens.
Sage dem Herrn, daß ich mich ihm morgen gern einige Zeit widmen will, heute aber lebhaft bedauere. – Nein, bleib! – Ich lasse bitten.« Parvisi ist im Augenblick nicht bereit, sich mit alltäglichen Dingen zu beschäftigen, und um andere wird es sich bei diesem Herrn de Vermont kaum handeln. Aber der Fremde kommt aus so weiter Ferne, daß es unhöflich wäre, sich entschuldigen zu lassen. Der Gedanke, daß das Zusammensein mit dem Franzosen zu einem gewinnbringenden Geschäft werden könnte, kommt dem Kaufmann nicht. Geschäfte sind im Augenblick unwichtig, ungleich wichtiger ist die gute Nachricht über die Reise der »Astra«. Hoffentlich dauert die Unterhaltung nicht lange.
Der Franzose ist ein würdiger älterer Herr. Sein gepflegtes Äußere läßt auf eine gesicherte Stellung schlie-
ßen. Der Schmuck, den er trägt, ist – Parvisi stellt es mit einem Blick fest – echt und von großem Wert und zeigt den feinen Geschmack seines Landes und den nicht minder feinen des Herrn de Vermont, der die Kostbar-keiten unauffällig, nicht im geringsten mit ihnen prot-zend, trägt. Die klaren Züge des langen, schmalen Gesichts, die hohe Stirn, die auf geistige Fähigkeiten hin-weist, flößen Vertrauen ein. Mehr Künstler als Kaufmann, denkt der Genuese. Vielleicht Maler, Schriftstel-ler. Oder Schauspieler? Aber was würde ein solcher bei ihm wollen?
»Herr Parvisi«, beginnt de Vermont, nachdem er die Begrüßung des Hausherrn erwidert und sich auf dem angewiesenen Platz niedergelassen hat, »ich komme mit einem besonderen Auftrag zu Ihnen.«
Also doch Kaufmann. Aber was ist das? Der Franzose spricht ja nicht von Geschäften. De Vermonts Worte klingen in Parvisi nach: »Ich verhehle nicht, daß es mir das Herz beschwert. So unangenehm die Aufgabe ist, ich kann und will mich ihr nicht entziehen, da sie mir ein Freund in Malaga ganz besonders nahegelegt hat.«
»Ein Freund in Malaga?« fragt Parvisi erstaunt. »Dann wissen Sie vielleicht auch Näheres über meine Kinder?
Bitte, Herr de Vermont, berichten Sie mir. Verzeihen Sie einem Vater, daß er seine Angelegenheiten über Ihre stellt. Ich verspreche Ihnen, mich dann Ihren Wünschen um so stärker zu widmen.«
Der Franzose wehrt still ab. »Wie gerne wäre ich Freudenbringer«, entgegnet er mit leiser Stimme.
»Sind Sie es denn nicht? Ach, spannen Sie mich nicht auf die Folter. Es ist mir unbekannt, ob Sie Kinder, Söh-ne oder Töchter haben, an denen Sie mit ganzer Liebe hängen, Sie würden sonst wissen, was es bedeutet, von ihnen hören zu wollen, und wie sehr jede Minute Zögern die Ungeduld vergrößert. Ihre Worte beunruhigen mich; sie haben mich unsicher gemacht. Natürlich irre ich mich; denn das Wichtigste erfuhr ich ja bereits vom Kapitän des Seglers: Die ,Astra’ ist glücklich in Malaga gelandet!«
»So wurde es Ihnen berichtet, Herr Parvisi?«
»Ja. Ich wiederhole in Französisch: ,L’Astre’ est bien arrivee a Malage. Ein Zweifel, eine falsche Deutung ist doch nicht möglich.«
»Es sind die gleichen Worte?«
»Was soll das, Herr de Vermont?«
»Die Nachricht stimmt,
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