Unter Trümmern
Zumindest äußerlich. Es sind harte Zeiten, in denen man sehen muss, wie man überlebt. Die Ersten beginnen sich für die neue Zeit zu positionieren. Glauben Sie alles, was gesagt wird? Entnazifizierung? Was glauben Sie, was die Amis machen? Fragebögen, na klar. Und wen sie nicht brauchen können, den stecken sie in den Knast, ein paar Großkopferte werden gehängt. Nürnberg ist für die Presse. Aber die, die sie brauchen können, die sind längst in Sicherheit. Wissenschaftler, Techniker, Geheimdienstler. Selbst erfahrene Gestapoleute. Andere machen schon wieder Geschäfte. Bauen Kontakte auf. Wissen Sie, Koch, durch meine Kunden, ich meine, die Leute, die meine Bilder kaufen, kriege ich so einiges mit. Die können sich das leisten, die haben schon wieder Einfluss oder zumindest Kontakte. Also versuchen Sie mir kein schlechtes Gewissen zu machen oder mit Moral zu kommen. Die ist vor die Hunde gegangen. Aber völlig. Und alles, was Ihnen jetzt von moralischer Erneuerung erzählt wird, vergessen Sie es, Augenwischerei, für die Öffentlichkeit, für die Presse, für die, die so blöd sind, daran zu glauben.“
„Sie sind ja tatsächlich ein Zyniker, Bresson“, unterbrach Koch seinen Nachbarn.
„Nennen Sie es, wie Sie wollen. Aber das ist die Welt, in der wir leben. Die Gräuel der Nazis sind den Menschen außer denen, die unter ihnen gelitten haben, doch völlig egal. Es geht um Macht, um Geld, um Einfluss. Hätten die Nazis es ein bisschen cleverer angestellt, wären sie noch immer an der Macht und würden glänzende Geschäfte mit denen machen, die sie besiegt haben. Schauen Sie sich Spanien an. Sie wissen doch selbst, was da passiert ist. Stalin war Franco egal. Er hat auf seine Verbündeten schießen lassen. Und die Amerikaner. Ich sage Ihnen, dass die bald hervorragende und lukrative Geschäfte mit dem Generalissimo machen werden. Der Mann ist ein Kommunistenfresser, also ein guter Verbündeter. Wenn die Demokratie im eigenen Land darunter leidet und er Hunderte oder Tausende umbringen lässt, drauf geschissen. Und da wollen Sie mir mit Moral kommen, damit, dass das, was ich mache, verwerflich ist. Alle verdienen gut daran. Die Mädels, die sich bumsen lassen, die Typen und ich auch. Klare Absprachen, Koch.“
„Das musste jetzt raus, was?“, erwiderte Koch. Er wollte hämisch klingen, aber es gelang ihm nicht, weil er wusste, dass der Mann Recht hatte. Er hatte es ja selbst erlebt. In Frankreich hatte er mit Schrecken die Nachricht vom Hitler-Stalin-Pakt vernommen, hatte es in Spanien am eigenen Leib erfahren. Aber so kalt, angereichert mit diesen düsteren Prognosen, wie sie Bresson vorbrachte, das war ihm zu viel. Die Aussicht, dass alte Nazis bald wieder in Amt und Würden wären, nagte an ihm.
„Klingt nicht gut, Koch, besonders für einen Idealisten wie Sie. Es ehrt Sie auch, dass Sie nach Ihren Erfahrungen immer noch einen Rest davon besitzen. Aber die Welt scheißt auf Idealisten. Sie werden immer verlieren.“
Er nippte an seinem Glas und sah Koch unumwunden an, wartete auf eine Antwort. Die kam nicht.
„Was wollen Sie von mir, Koch? Wie kann ich Ihnen helfen? Die ‚Hölle‘ in Mombach, da wollten Sie was drüber wissen.“
„Ja“, reagierte Koch erst nach ein paar Sekunden. „Die ‚Hölle‘. Ich suche einen Mann …“
„Diesen Glodkowski, nehme ich an“, unterbrach ihn Bresson.
„Genau der. Ich hatte einen Tipp bekommen, dass er sich da aufhält. Leider bin ich nicht reingekommen, schlimmer, mich haben zwei Schläger abgefangen.“
Bresson lachte. Koch sah ihn überrascht an. „Dafür sehen Sie aber noch ganz ordentlich aus.“
„Was wollen Sie damit sagen?“
„Dieser Laden genießt höchste Protektion, Koch. Ein Ort, an dem man sich nicht nur hervorragend vergnügen kann und kein Wusch unerfüllt bleibt, es ist auch ein Ort, an dem man hervorragend Geschäfte besprechen und abschließen kann. Geschäfte, von denen draußen niemand etwas wissen muss. Wie haben Sie davon erfahren?“
Koch erzählte es ihm.
„Passen Sie auf sich auf. Wenn die rauskriegen, wer Sie sind, wie Sie an die Information gekommen sind, dann leben Sie gefährlich. Sehr gefährlich.“
Koch nickte. „Und Brunner? Meinen Sie, dass der was damit zu tun hat?“
„Als Gast oder was meinen Sie?“, fragte Bresson zurück.
„Beides, wobei mich Letzteres mehr interessieren würde.“
„Ich weiß es nicht, Koch. Ehrlich. Mit Prostitution habe ich nichts zu tun. Ich mache meine Fotos. Was ich
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